Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verbot der Fernversorgung mit Hörgeräten nach Medizinproduktrecht
Leitsatz (amtlich)
§ 9 MPDG verlangt bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung nicht, dass der Hörgeräteakustiker als Gesundheitshandwerker eine vergleichbare Untersuchung des Kunden erneut vornimmt. Dies hat zur Folge, dass auch eine Fernversorgung ohne persönliche Anwesenheit des Kunden zulässig ist.
Normenkette
MPDG § 9; SGB V § 126; UWG § 3a
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.06.2022; Aktenzeichen 2-06 O 29/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin gegen das am 08.06.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (2-06 O 29/22) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin und Berufungsklägerin.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Beide Parteien bieten als Hörakustiker-Betriebe Hörsysteme für Endkunden an.
Die Beklagte betreibt ein Ladengeschäft in Stadt1, das über einen sog. präqualifizierten Raum verfügt, in dem Anpassungen von Hörgeräten vorgenommen werden können. Neben der stationären Versorgung betreibt die Beklagte unter der Adresse www.(...).de auch eine Internetseite. Dort bewirbt sie eine Hörgeräteanpassung ohne Besuch des stationären Ladengeschäfts; die Anpassung erfolgt nach Vorlage einer ärztlichen Verordnung (mit vom Arzt durchgeführtem Hörtest) nach Voreinstellung im präqualifizierten Raum mittels Telefonkontakt und einer App - ein persönlicher Kontakt mit dem Kunden ist hierbei nicht erforderlich. Diese Art der Versorgung beschrieb die Beklagte in den streitgegenständlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verwendung dieser AGB in Anspruch. Dies verstoße gegen § 3a UWG, da § 9 Abs. 1 Nr. 2 MPDG eine Anpassung der Hörgeräte mittels App in den Privaträumen der Kunden nicht erlaube. Auch die Krankenkassen-Versorgungsverträge und §§ 21, 22 der Hilfsmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses sähen eine solche Möglichkeit nicht vor. Hierüber werde der Verkehr auch in die Irre geführt.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 8.6.2022, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, die auf Unterlassung und Ersatz der Abmahnkosten gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das von der Beklagten vorausgesetzte Erstellen einer Verordnung durch die Beklagte werde von § 9 MPDG nicht verlangt. Im Übrigen sei auch eine Online-Anpassung eines Hörgerätes rechtlich nicht grundsätzlich unzulässig. Aus den Regelungszusammenhängen von Krankenkassen-Versorgungsverträgen lasse sich eine solche Einschränkung der Berufsfreiheit eines Akustikers nicht ableiten. Auch aus § 126 SGB V bzw. §§ 21, 22 der Hilfsmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses lasse sich eines solches Verbot nicht ableiten.
Eine Irreführung liege auch nicht vor. Die Beklagte habe vorgetragen, dass Hörgeräte in einem isolierten präqualifizierten Raum aufgrund der Daten der ärztlichen Verordnung angepasst würden und anschließend online mit dem Kunden eine Feinabstimmung erfolge. Die Klägerin habe nicht substantiiert dargetan, dass eine solche fachgerechte Anpassung nicht möglich sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Kla-geanträge weiterverfolgt. Die Anpassung eines Systems durch ein Hörakustiker nach dem aktuellen Stand der Technik im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 5 MPDG umfasse eine Vielzahl von teilweise komplexen Untersuchungen. Diese könnten ohne körperlichen Kontakt zwischen Kunde und Akustiker nicht durchgeführt werden. Hierzu trägt die Beklagte in zweiter Instanz neu vor, dass zunächst eine Inspektion des Ohres erforderlich sei, sodann eine Palpation sowie eine Otoskopie und schließlich als zentrale Untersuchung eine Messung am Kundenohr durch eine Sprachaudiometrie. Im Wege einer Onlineanpassung seien keine objektiven Messungen des Kundenohrs möglich (Beweis: Sachverständigengutachten).
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 08.06.2022 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt,
1. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen am Geschäftsführer der Beklagten, es zu unterlassen,
a) im Geschäftsverkehr Hörgeräte über das Internet anzubieten, wenn dies geschieht wie Ziff. 4 und 13 der Anlage K 1 der Klagebegründung beschrieben, ohne das Ohr des Kunden aufgrund eigener Untersuchungen und audiologischer Messungen in Gegenwart eines Kunden geprüft und d...