Leitsatz (amtlich)

›1. Bei Bandscheibenschäden besteht nur ausnahmsweise Versicherungsschutz in der privaten Unfallversicherung nach den AUB 88.

2. Es liegt erfahrungsgemäß fern, dass ein äußeres Ereignis die überwiegende Ursache eines Bandscheibenschadens war, wenn die entsprechende Körperregion keiner unmittelbaren Gewalteinwirkung mit äußeren Verletzungen oder Frakturen ausgesetzt war. Das gilt erst recht, wenn der Versicherungsnehmer (VN) schon vor jenem Ereignis degenerative Veränderungen am fraglichen Wirbelsäulensegment aufwies.

3. Unter solchen Voraussetzungen trägt der VN die Beweislast für einen Ausnahmefall im Sinne von § 2 III (2) AUB 88.‹

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Entscheidung vom 12.09.2000; Aktenzeichen 8 O 172/99)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund eines zwischen ihnen geschlossenen Unfallversicherungsvertrages eine Invaliditätsentschädigung zu gewähren hat.

Der Kläger hatte sich bei der Beklagten gegen Unfälle in Freizeit und Beruf versichert.

Vertragsbestandteil waren die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 1988 (AUB 88). Für berufliche Unfälle betrug ab 01. Februar 1993 die Versicherungssumme bei Invalidität mit Progression 50.000 DM.

Seit März 1990 war der Kläger in einem Betrieb in B.-F. beschäftigt und dort im Bereich der Tiegelherstellung tätig. Am 27. September 1993 hatte der Kläger einen etwa 1,60 Meter hohen und ca. 200 kg schweren Schmelztiegel zu einer Arbeitsbühne gefahren und dort abgestellt, als er unmittelbar darauf bemerkte, dass dieser Tiegel ins Kippen geraten war. Daraufhin fing er den Schmelztiegel mit beiden Armen auf.

Anschließend richtete er den Tiegel - insoweit nach seinen Angaben bei der persönlichen Anhörung im Berufungsverfahren auch unter Zuhilfenahme seiner Brust wieder auf.

Seit diesem Ereignis klagte der Kläger über Schmerzen vor allem im Schulter- und Nackenbereich und begab sich in orthopädische Behandlung. Am 2. November 1993 wurde seine Halswirbelsäule in der Praxis der Radiologin Dr. H. in Es. mittels Computertomographie untersucht. Frau Dr. H. beurteilte den Befund dahin, dass im Bereich der Halswirbel 5/6 einerseits ein Bandscheibenvorfall vorliege, andererseits aber auch erhebliche degenerative Veränderungen vorhanden seien. Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls im Segment C 5/6 wurde auch bei nachfolgenden weiteren Untersuchungen bestätigt. Dabei wurde der Bandscheibenvorfall teilweise als traumatisch bedingt bewertet. Während einer stationären Krankenhausbehandlung im März 1994 wurde der Bandscheibenvorfall operativ dekomprimiert und stabilisiert.

Unter dem 15. April 1994 begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung wegen der Folgen des Vorfalls vom 27. September 1993.

Nach längerer Prüfung dieses Antrags und Einholung eines außergerichtlichen Gutachtens lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 8. Dezember 1997 schließlich die Gewährung von Leistungen ab, weil das Ereignis vom 27. September 1993 nicht als maßgebliche Ursache des Bandscheibenvorfalls bzw. der Beschwerden des Klägers angesehen werden könne.

Demgegenüber hat der Kläger zur Begründung seiner Klage behauptet, der Bandscheibenvorfall sei allein auf das Ereignis vom 27. September 1993 zurückzuführen und habe innerhalb eines Jahres zu einem Invaliditätsgrad von 30 % geführt.

Nach teilweiser Rücknahme der anfangs weitergehenden Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.000 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat unter anderem in Abrede gestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 27. September 1993 um einen "Unfall" im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt habe, und auch weiter die Ursächlichkeit dieses Ereignisses für den Bandscheibenvorfall bestritten. Ferner hat sie sich darauf berufen, dass unfallbedingte Invalidität nicht innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt wurde.

Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 178 - 188 Bd. I d. A.), hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Kassel die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt: Bei dem Vorfall vom 27. September 1993 habe es sich zwar entgegen der Auffassung der Beklagten um ein Unfallereignis gehandelt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (fachorthopädisches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. S. vom 17. Februar 2000 nebst mündlicher Erläuterung und Ergänzung vom 12. September 2000) lasse sich jedoch nicht feststellen, dass der Kläger infolge des Unfallereignisses eine Gesundheitsschädigung erlitten habe. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen habe der Kläger bereits anlagebedingte Verschleißerscheinungen im Bereich der Halswirbelsäule aufgewiesen, und das Ereignis vom 27. September 1993 sei für sich genommen nicht in der Lage gewesen, einen Bandscheibenvorfall auszulösen; das Ereignis habe allenfalls eine akute Schmerzsymptomatik...

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