Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzanfechtung: Gläubigerbenachteiligung durch Verkürzung der Aktivmasse Verfahrensgang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Gläubigerbenachteiligung wird grundsätzlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass die angefochtene Rechtshandlung der Insolvenzmasse auch Vorteile gebracht hat. Die schadensersatzrechtlichen Grundsätze der sog. Vorteilsausgleichung gelten im Insolvenzrecht nicht.

2. Erhält der Schuldner dagegen vereinbarungsgemäß eine objektiv gleichwertige Gegenleistung, kann es an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dieser gleichwertige Vorteil unmittelbar und in zurechenbarer Weise mit dem Vermögensopfer zusammenhängt. Es sind lediglich solche Folgen zu Gunsten des Anfechtungsgegners zu berücksichtigen, die an die angefochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen. Leistung und Gegenleistung müssen in zurechnungsrelevanter Weise voneinander abhängen, d.h. unmittelbar miteinander verknüpft sein.

3. Dagegen verbleibt es bei einer Gläubigerbenachteiligung, wenn die angefochtene Rechtshandlung lediglich im Zusammenhang mit anderen Ereignissen der Insolvenzmasse rein tatsächlich auch Vorteile gebracht hat. Diese zur Verneinung der Gläubigerbenachteiligung erforderliche unmittelbare Verknüpfung ist nicht bereits dann gegeben, wenn der Schuldner das Vermögensopfer gezielt eingesetzt hat, um den Vorteil zu erlangen. Vielmehr muss sich der Vorteil unmittelbar in einer den Nachteil ausgleichenden Mehrung des Schuldnervermögens niederschlagen.

 

Normenkette

InsO §§ 133, 143

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Entscheidung vom 27.07.2017; Aktenzeichen 3 O 247/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27.7.2017, berichtigt durch Beschluss vom 27.12.2017, (Az. 3 O 247/16) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 109.935,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.03.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf 110.879,13 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter Rückgewähransprüche wegen Insolvenzanfechtung gemäß §§ 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO geltend.

Aufgrund eines Eigenantrags vom 08.02.2013 wurde der Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts Stadt1 vom 01.03.2013 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH (im Folgenden Schuldnerin) bestellt. Die Schuldnerin betrieb ein B-Werk sowie einen Groß- und Einzelhandel mit Holzprodukten und Einrichtungsgegenständen.

Der Beklagte, ein rechtsfähiger, wirtschaftlicher Verein i.S.d. § 22 BGB, ist eine gemeinsame Einrichtung der C. Ihm obliegt nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) der Einzug der Sozialkassenbeiträge und gem. § 357 Abs. 1 SGB III i.V.m. § 4 der Winterbeschäftigungsverordnung die Einziehung der Winterbeschäftigungsumlage und Abführung an die Bundesagentur für Arbeit.

Die Schuldnerin erbrachte an den Beklagten folgende, vom Kläger angefochtene Zahlungen:

  • Am 22.09.2008: 944,10 EUR auf rückständige Beiträge zur Winterbeschäftigungsumlage;
  • am 06.10.2011: 55.000 EUR,
  • am 14.10.2011: 33.786,66 EUR,
  • am 05.07.2012: 21.148,37 EUR, jeweils auf rückständige Sozialkassenbeiträge.

Bis Oktober 2011 hatten sich bei dem Beklagten offene Sozialkassenbeiträge in Höhe von insgesamt 88.786,66 EUR aufgebaut. Durch die Zahlungen am 6.10. und 14.10.2011 wurde das bei dem Beklagten geführte Beitragskonto der Schuldnerin vorübergehend vollständig ausgeglichen. Infolgedessen überwies der Beklagte auf das Geschäftskonto der Schuldnerin am 19.10.2011 einen Betrag i.H.v. 56.773,95 EUR sowie am 10.07.2012 einen Betrag i.H.v. 15.936,60 EUR. Dabei handelte es sich um Erstattungen der von der Schuldnerin an deren Arbeitnehmer ausgezahlten Urlaubsvergütungen im Sinne der §§ 12, 18 Abs. 2 VTV .

Darüber hinaus war die Schuldnerin auch der Abführung der Winterbeschäftigungsumlage seit März 2010 nicht mehr nachgekommen. Im Zeitraum zwischen März 2010 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren Beiträge zur Winterbeschäftigungsumlage in Höhe von insgesamt 4.069,10 EUR unbeglichen. Die Bundesagentur für Arbeit meldete diese Forderung zur Tabelle an.

Der Beklagte selbst meldete wegen weiterer, offener Sozialkassenbeiträge für die Monate Juni 2012 bis Februar 2013 eine Gesamtforderung i.H.v. 19.584,51 EUR zur Tabelle an. Dem lagen von der Schuldnerin gemeldete, aber nicht abgeführte Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer sowie Angestellte gemä...

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