Entscheidungsstichwort (Thema)
Irreführung über die Lieferbarkeit eines Medikaments kurz vor Markteintritt
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer zeitlich beschränkten einstweiligen Verfügung bewirkt der Zeitablauf weder eine Erledigung noch einen Wegfall der Dringlichkeit, des Rechtsschutzbedürfnisses oder der Wiederholungsgefahr.
2. Zur lauterkeitsrechtlichen Haftung des Betreibers eines Medikamenten-Informationssystems, der ein Medikament als "im Vertrieb" listet, obwohl das Medikament aufgrund noch laufenden Patenschutzes erst ca. drei Monate später lieferbar ist
Normenkette
UWG § 5
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.02.2022; Aktenzeichen 2-6 O 297/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Berufung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Streithelferin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um ein Anspruch auf Unterlassung der Listung eines Arzneimittels in der Datenbank der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der "A"-Unternehmensgruppe und vertreibt unter anderem das Lenalidomid-haltige Produkt "Revlimid" auf dem deutschen Markt. Eine Schwestergesellschaft der Antragstellerin ist Inhaberin des ergänzenden Schutzzertifikates DE 122007000079.0 betreffend Lenalidomid, wie im Grundpatent EP 0 925 294 B 1 beschrieben. Das Zertifikat lief bis zum 19.6.2022 und stand in Kraft.
Die Antragsgegnerin ist die gemeinsame Clearingstelle der pharmazeutischen Industrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheker in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Aufgabe ist es, wirtschaftliche und rechtliche Daten über Arzneimittel und apothekenübliche Waren in Ihrer Datenbank zu erheben. Die Clearingstelle1-Datenbank ist Grundlage aller Arzt- und Apotheken-Softwaresysteme. Durch sie wird insbesondere die so genannte "Lauer-Taxe" gespeist, welche den Apotheken Auskunft über zugelassene Arzneimittel gibt. Ferner vergibt die Antragsgegnerin für jeden ihrer Artikel die Pharmazentralnummer (PZN). PZN-Nummer und Clearingstelle1-Datenbankeintrag werden in Deutschland ausschließlich von der Antragsgegnerin angeboten.
Die Streithelferin vertreibt unter anderen Generika. Sie ist Inhaberin einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Produkt "Lenalidomid-arzneimittelhersteller1", welches die Merkmale des ergänzenden Schutzzertifikates und des Klagepatents erfüllt. Lenalodomid-haltige Produkte sind u.a. aufgrund ihrer teratogenen Wirkung besonderen Vertriebsbeschränkungen unterworfen. Sie werden nur gegen besondere Rezepte (sog. T-Rezept) unter strengen Voraussetzungen abgegeben; auch eine "aut-idem"-Abgabe ist nur nach Rücksprache mit dem Arzt möglich.
Zwischen der Antragstellerin und der Streithelferin bestand eine vertragliche Vereinbarung englischen Rechts, wonach die Streithelferin das Produkt nach dem 18.2.2022 - und damit vor Ablauf des Schutzzertifikates - in den Verkehr bringen durfte. Die Vereinbarung erlaubte der Streithelferin "pre-launch-activities" auch vor dem 18.2.22; der Vertragstext ist weder der Antragsgegnerin im Vorfeld noch nunmehr im Prozess vorgelegt worden.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin am 27.10.2021 mit, dass sie das Generikum der Streithelferin zum nächstmöglichen Datum, nämlich zum 15.11.2021 in der Clearingstelle1-Datenbank als "im Vertrieb" listen werde.
Mit Schreiben vom 11.10.2021 (Anlage ASt6) teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass Lenalomid patentgeschützt sei. Eine entsprechende Listung verstoße gegen die Clearingstelle1-Richtlinien und sei irreführend, da das Produkt der Streithelferin tatsächlich nicht erhältlich sei. Ferner stellte die Antragstellerin Informationen zum Patentschutz zur Verfügung (Anlage ASt7). Die Streithelferin bestätigte der Antragsgegnerin vor der Listung, dass die streitgegenständlichen Produkte nicht vor dem 18.2.2022 lieferbar seien (Anlage ASt9).
Das Landgericht hat durch Beschluss vom 10.11.2021 der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, die Produkte "Lenalidomid-Arzneimittelhersteller1" und "Lenalidomid Arzneimittelhersteller2" vor dem 18.2.2022 in der Clearingstelle1-Datenbank mit dem Status "im Vertrieb" aufzunehmen und/oder zu führen.
Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch hat das Landgericht durch Urteil vom 9.2.2022, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung bestätigt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Antragstellerin sei aktivlegitimiert, da die Parteien zumindest in einem mittelbaren Wettbewerbsverhältnis stünden. Die Antragsgegnerin fördere als vergütete Dienstleisterin die geschäftlichen Handlungen der Bewerbung und des Vertriebes von Arzneimittel durch unmittelbare W...