Leitsatz (amtlich)
Im sog. "gestörten Gesamtschuldverhältnis" ist der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch zu berücksichtigen.
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 13.12.2001; Aktenzeichen 4 O 199/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 13.12.2001 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.
Die Erstbeklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.804,13 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 29.5.2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Erstbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Arbeitsunfall am 21.4.1998 auf dem Neubau "Kindertagesstätte "..." in R. noch entstehen werden, soweit die entsprechenden Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind oder übergehen werden.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Erstbeklagte und der Kläger die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu je ein Halb. Die außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten trägt diese selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Zweitbeklagten trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages stellt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger war Arbeitnehmer der Dachdeckerfirma, die als Subunternehmerin das Dach der Kindertagesstätte "..." in R. decken sollte. Als er am 21.4.1998 auf der geschalten Dachfläche Aufmaß für die erforderliche Ziegelmenge nehmen wollte, stürzte er durch eine mit Dachpappe bedeckte Öffnung für ein Dachfenster ca. 5 m tief auf den Betonfußboden und erlitt schwerste Verletzungen, er war 9 Monate arbeitsunfähig erkrankt. Die ...-genossenschaft - Gesetzliche Unfallversicherung - hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt und ihm wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % eine Rente zuerkannt.
Der Kläger hat ursprünglich auch die Generalunternehmerin X GmbH & Co. KG in Anspruch genommen; sie befindet sich in der Insolvenz, das Verfahren gegen sie ist abgetrennt worden. Nunmehr verlangt er von deren nach Ablehnung der Insolvenzeröffnung mangels Masse in Liquidation befindlicher persönlich haftender Gesellschafterin X GmbH und der Firma X S. GmbH Verdienstausfall, ein angemessenes Schmerzensgeld und Feststellung des Anspruchs auf Ersatz zukünftiger Schäden.
Das LG hat mit Urteil vom 13.12.2001, auf das Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen, weil wegen gemeinsamer Betriebsstätte jedwede Haftung nach §§ 106 Abs. 3, 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Er beantragt,
I. unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.804,22 Euro (= 3.528,74 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 28.5.2001 zu zahlen.
II. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 25.564,60 Euro (= 50.000 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 28.5.2001 zu zahlen;
III. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Arbeitsunfall am 21.4.1998 auf dem Neubau "Kindertagesstätte ... " in R. noch entstehen werden, soweit die entsprechenden Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angegriffene Urteil.
Ergänzend wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A, B., Dr. C., D, E., F, G und H. Zum Beweisergebnis wird auf die Sitzungsniederschrift vom 3.11.2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat im ausgesprochenen Umfang Erfolg, weil seine Klage insoweit begründet ist. Der Kläger hat wegen der gesundheitlichen Folgen seines Sturzes am 21.4.1998 in R. Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall, Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht von Zukunftsschäden gegen die Erstbeklagte (1.). Die Zweitbeklagte haftet jedoch nicht (2.).
1. Die im Liquidationsstadium fortbestehende Erstbeklagte haftet als persönlich haftende Gesellschafterin der X GmbH & Co. KG (im Folgenden: X KG) für deren Verbindlichkeiten gem. §§ 161 Abs. 2, 128 S. 1 HGB. Die X KG ist dem Kläger für die Folgen seines Sturzes nach §§ 831 Abs. 1, 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB verantwortlich (1.1.), wovon sie weder durch sozialrechtliche Privilegierung (1.2.) noch in Folge eines sog. gestörten Gesamtschuldverhältnisses (1.3.) befreit i...