Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach § 84a Abs. 1 Satz 1 AMG
Leitsatz (amtlich)
Eine begründete Annahme im Sinne des § 84a Abs. 1 AMG ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn mehr für eine Verursachung der Rechtsgutverletzung durch das Arzneimittel spricht als dagegen.
Normenkette
AMG § 84a
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 30.10.2019; Aktenzeichen 4 O 1505/18) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30. Oktober 2019 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hanau teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die ihr bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und die ihr bekannten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des von der Beklagten in Deutschland bis zum 31. Juli 2018 vertriebenen Medikaments Valsartan AbZ von Bedeutung sein können, soweit diese Krebserkrankungen, Luftnot, Druck bzw. Engegefühl im Brustraum betreffen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Auskunft u. a. über die Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen des Medikaments Valsartan AbZ sowie Schmerzensgeld. Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche materielle und immaterielle Schäden und zudem die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte ist pharmazeutischer Unternehmer des Medikaments Valsartan AbZ. Für die Produktion arbeitet die Beklagte mit mehreren Wirkstoffherstellern zusammen, welche alle den gleichen Wirkstoff Valsartan herstellen. Unter diesen Herstellern war auch das chinesische Unternehmen A Co. Limited.
Die Beklagte teilte in der Form eines Chargenrückrufs (AMK 18/28, Bl. 109 f. d. A.) am 10. Juli 2018 mit, dass bei der A Co. Limited eine produktionsbedingte Verunreinigung des Wirkstoffs Valsartan festgestellt worden sei. Bei der Verunreinigung handelte es sich um N-Nitrosodiethylamin (NDEA). Dieser Stoff sei von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen eingestuft. Wegen der weiteren Einzelheiten des Rückruftextes wird auf den zu den Akten gereichten Ausdruck (Bl. 109 d. A.) verwiesen.
Der Chargenrückruf erfasste aus organisatorischen Gründen alle Packungsgrößen und Chargen, obwohl von der produktionsbedingten Verunreinigung nur solche Chargen betroffen waren, die unter Verwendung des von der A Co. Limited gelieferten Wirkstoffes hergestellt wurden.
Von dem in Rede stehenden Arzneimittel wurden in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 28. Februar 2016 142.154 Packungen mit Valsartan hergestellt und von der Beklagten in Deutschland an Dritte abgegeben, für das kein Risiko einer Nitrosamin-Belastung besteht.
Im selben Zeitraum - also zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 28. Februar 2016 - wurden hingegen 62.897 Packungen des in Rede stehenden Arzneimittels von der Beklagten in Deutschland an Dritte abgegeben, die mit Valsartan hergestellt worden waren, das von dem Wirkstoffhersteller A Co., Ltd. in der Zeit ab 2012 produziert worden war.
Im Mai 2016 wurde bei der Klägerin ein Mammakarzinom links festgestellt.
Die Klägerin hat behauptet, im Zeitraum 2013 bis Mai 2018 das von der Beklagten hergestellte Medikament Valsartan AbZ 80 mg bezogen und eingenommen zu haben. Die von ihr eingenommenen Chargen hätten zu Chargen gehört, die zurückgerufen wurden, da eine Verunreinigung (oder der Verdacht darauf) mit Dimethy-N-Nitrosamin (NDMA) und NDEA bestanden habe.
Durch die Einnahme von durch die Beklagte in den Verkehr gebrachten und mit NDMA und NDEA verunreinigten Valsartan-Generika von 2013 bis Mai 2018 sei sie an Krebs erkrankt. Die Einnahme habe ein postmenopausales, össar metastasierendes Mammakarzinom verursacht, welches unter anderem zu einer Amputation der linken Brust der Klägerin geführt habe. Aufgrund der erfolgten Amputation erhalte die Klägerin einmal wöchentlich Lymphdrainagen und eine Physiotherapie.
Darüber hinaus seien ihre Finger oft angeschwollen, so dass sie nicht richtig greifen könne. Hinzu kämen Nebenwirkungen der Krebsmedikamente, wie beispielsweise ständige Müdigkeit, Krämpfe in den Beinen und Händen und Geschmacksbeeinträchtigungen. Vor ihrer Krebserkrankung habe sie als Beruf1 gearbeitet. Diese Tätigkeit sei ihr nun nicht mehr in vollem Umfang möglich.
Darüber hinaus habe die Klägerin Ausländer unterrichtet ("(...)"), da die Klägerin auch studierte Beruf2 mit dem Abschluss M. A. sei. Pro Modul habe sie bei der Volkshochschule EUR 1.800,00 erhalten. Regelmäßig seien im Jahr 12 Module abgerechnet worden, so dass sie hieraus Einnahmen in einer Größenordnung von EUR 21.600,00 gehabt habe. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen erziele sie maximal nur noch die...