Verfahrensgang
LG Ulm (Urteil vom 27.11.2020; Aktenzeichen 3 O 231/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 27.11.2020, Az. 3 O 231/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ulm ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 35.000,00 EUR
Gründe
A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die das Medikament Valsartan ... 160 mg in Deutschland vertreibt, Ersatz materieller und immaterieller Schäden.
I. Im Juli 2018 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über einen Rückruf valsartanhaltiger Arzneimittel informiert, deren Wirkstoff von dem chinesischen Hersteller ... ... ... ... produziert worden war. Grund hierfür war eine Verunreinigung des Wirkstoffs mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA), das als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" gilt.
Die Klägerin hat in den Jahren 2016 und 2017 für die folgenden valsartanhaltigen Medikamente Zuzahlungen geleistet:
Rezept vom |
PZN |
Medikament |
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Anlage |
14.03.2016 |
w. o. |
Valsartan |
... 80 mg 98 Stk. |
K 4 |
26.04.2016 |
9239636 |
w. o. |
... 160 mg 98 Stk. |
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05.07.2016 |
w. o. |
w. o. |
w. o. |
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04.10.2016 |
8850896 |
w. o. |
... 160 FTA 98 Stk. |
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15.12.2016 |
7608377 |
w. o. |
... 160 mg 98 Stk. |
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13.03.2017 |
8850896 |
w. o. |
... 160 FTA 98 Stk. |
K 5 |
03.07.2017 |
7581046 |
w. o. |
1A PLUS 160 mg 98 Stk. |
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17.07.2017 |
7608377 |
w. o. |
... 160 mg 98 Stk. |
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28.08.2017 |
w. o. |
w. o. |
... 160 mg 98 Stk. |
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19.10.2017 |
w. o. |
w. o. |
... 160 mg 98 Stk. |
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Gegenüber dem Landgericht hat die Klägerin den von ihr begehrten Schadensersatz auf § 84 AMG gestützt. Da die Beklagte alle Chargen des Medikaments Valsartan ... zurückgerufen habe, sei davon auszugehen, dass sie, die Klägerin, ein verunreinigtes Präparat eingenommen habe. Ein lückenloser Nachweis für die Einnahme verunreinigter valsartanhaltiger Medikamente könne von ihr nicht gefordert werden.
Seit dem Rückruf leide sie "unter der erheblichen psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken und daran zu versterben", an einer massiven Angststörung mit Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Angst- und Panikattacken mit Schweißausbrüchen sowie Herzrasen. Sie nehme vermehrt das Medikament Tavor ein.
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Einnahme eines verunreinigten Medikaments durch die Klägerin bestritten und geltend gemacht, dass in dem hier relevanten Zeitraum mindestens sieben Chargen mit insgesamt 75.965 Packungen eines anderen Wirkstoffherstellers im Verkehr gewesen seien. Der auch nicht verunreinigte Medikamente umfassende Rückruf sei ausschließlich aus Praktikabilitätsgründen erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen.
II. Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Klägerin und Vernehmung der Zeugin ... abgewiesen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz gemäß §§ 84, 87 AMG, § 823 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs. 2 BGB, 223 StGB bestehe nicht.
Die Klägerin habe den ihr obliegenden Nachweis für eine Anwendung des mit NDMA verunreinigtem VALSARTAN ... nicht geführt. Zum einen habe die Beweisaufnahme ergeben, dass in Deutschland vom 15.12.2016 bis zum 19.10.2017 auch nicht kontaminiertes Valsartan ... 160 mg erhältlich gewesen sei. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen habe diese den Wirkstoff nicht nur von der ..., sondern auch von einem anderen Unternehmen bezogen, dessen Produkt nicht kontaminiert gewesen sei. Zum andern sei der Klägerin keine Erklärung dazu möglich gewesen, aus welcher Charge die von ihr eingenommenen Tabletten gestammt hätten. Nur mit dieser Angabe wäre aber eine Zuordnung möglich gewesen.
Eine Haftung der Beklagten aufgrund des Rückrufs für alle im Verkehr befindlichen Chargen des Medikaments Valsartan ... 160 mg könne nicht festgestellt werden. Zwar sei ein derartiger Rückruf durchaus geeignet, bei den hiervon betroffenen Patienten Angst auszulösen. Da der umfassende Rückruf von "insgesamt rund 500 Chargen" ausschließlich aus Praktikabilitätsgründen erfolgt sei, könne der Beklagten aber kein schuldhaftes Handeln angelastet werden.
Wegen der weiteren Feststellungen des Landgerichts und der von den Parteien in erster Instanz gestellter Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
III. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, das Landgericht habe überhöhte Anforderungen an ihre Darlegungslast gestellt. Eine Benennung konkreter Chargennummern wäre ihr nur bei Aufbewahrung sämtlicher Valsartan-Packungen möglich gewesen. Da sie jedoch nicht mit einem Haftungsprozess habe rechnen müssen, sei diese...