Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Gefährdungshaftung nach Einnahme mit NDMA verunreinigten Arzneimittels Valsartan für Angst vor Krebs
Leitsatz (amtlich)
Eine Haftung des Herstellers besteht nicht für Gesundheitsstörungen (hier: Ängste), die nicht auf die Einnahme eines Arzneimittels zurückzuführen sind, sondern allein durch die Kenntnis von dessen - möglicher - Verunreinigung ausgelöst wurden. Dies gilt jedenfalls, wenn das - verunreinigte - Arzneimittel nicht generell geeignet ist, derartige Störungen (Ängste) auslösen.
Normenkette
AMG § 84 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 87; BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 03.02.2022; Aktenzeichen 27 O 119/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 3.2.2022 verkündete Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Schuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gläubigerin vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen
Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 36.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin erhielt seit dem 17.12.2012 blutdrucksenkende Arzneimittel verordnet, die den Wirkstoff Valsartan enthalten. Die Beklagte ist pharmazeutische Herstellerin von Medikamenten, die diesen Wirkstoff enthalten.
Im Juli 2018 erfolgte ein Medikamentenrückruf aller Chargen der Medikamente X und X1 (Valsartan, Hydrochlorothiazid). Den Wirkstoff in einigen Chargen dieser Medikamente hatte die Beklagte von dem chinesischen Hersteller Y bezogen. Bei diesem Hersteller war eine produktionsbedingte Verunreinigung des Wirkstoffs Valsartan mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) festgestellt worden. Ausweislich des Chargenrückrufs ist dieser Stoff von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen eingestuft worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Rückruftextes der Z GmbH wird auf die Anlage K 4 (Bl. 36 d. A.) verwiesen.
Der Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur vom 14.2.2019 (EMA/217823/2019) im Risikobewertungsverfahren nach der Richtlinie 2001/83/EG kommt zu der Schätzung, dass das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen von valsartanhaltigen Arzneimitteln mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) für Patienten bei einer Einnahme über einem Zeitraum von sechs Jahren täglich in der Höchstdosis (320 mg Valsartan) um 0,02 % erhöht ist, dies berechnet auf Grundlage des Worst-Case-Expositionsszenarios mit der höchsten durch Tests festgestellten Menge der Verunreinigung. Das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, wird für Deutschland mit 43,5 % angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 14.2.2019 verwiesen (Anlage V 18, beglaubigte Übersetzung: Anlage V 18 A, Anlageband Va).
Die Klägerin hat behauptet, im Zeitraum Dezember 2012 bis Juli 2018 Valsartan-haltige Arzneimittel verschiedener Hersteller bezogen und hiervon jeweils eine Tagesdosis von 320 mg eingenommen zu haben, worunter sich auch solche der Beklagten befunden hätten. Insbesondere das Arzneimittel der Charge ... (Lichtbild, Anlage K 5, Bl. 38 d.A.) sei von dem Chargenrückruf betroffen gewesen und von ihr im Juli 2018 eingenommen worden. Seit sie von dem Rückruf erfahren habe, leide sie unter der nicht unerheblichen psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken. Dadurch sei ihre Lebensqualität gesunken, ihr gesamtes Leben habe sich verändert. Sie habe Angst davor, eine Krebsdiagnose zu erhalten und auch daran zu versterben sowie die für eine solche Erkrankung typischen Schmerzen und Leiden zu ertragen. Tagsüber denke sie oft über ihre ungewisse gesundheitliche Zukunft nach. Nachts plagten sie damit zusammenhängende Albträume. Auch die kardiale Erkrankung, die Anlass für die Verordnung des streitgegenständlichen Medikaments war, habe sich seit Kenntnis der Verunreinigung verschlechtert.
Während der Einnahme des Medikaments habe sie zudem vermehrt unter Symptomen wie Muskelschmerzen, ständiger unerklärter Müdigkeit und Dauerhusten gelitten, was ebenfalls auf die verunreinigten Arzneimittel zurückzuführen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 21.500,00 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin anteilige vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.289,54 EUR zu zahlen.
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihr aus Anlass der Einnahme der von...