Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung eines Anspruchs aus § 987 BGB; Zurückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs aus § 1144 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen eines Anspruchs aus §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen der unberechtigten Nutzung einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung sind mitgenutzte Abstellflächen im Keller bei der Schätzung des Nutzungsersatzes gemäß § 287 ZPO werterhöhend zu berücksichtigen.
2. Bei der Inanspruchnahme aus einer abgetretenen Briefgrundschuld kann der Eigentümer gemäß § 1144, § 1192 Abs. 1, §§ 273, 274 BGB bis zur Vorlage einer öffentlich beglaubigten Abtretungserklärung im Sinne des § 1155 BGB eine Zahlung auf die Grundschuld verweigern.
3. Verweigert der nicht im Grundbuch ausgewiesene Inhaber einer Briefgrundschuld die Vorlage einer öffentlich beglaubigten Abtretungserklärung gegenüber dem in Anspruch genommenen Eigentümer, gerät er in Annahmeverzug mit der Folge, dass ein Zinsanspruch gemäß § 301 BGB entfallen kann.
Normenkette
BGB §§ 301, 987, 1144, 1155; ZPO § 767
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 27.04.2021; Aktenzeichen 4 O 136/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.4.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden dahin abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Kläger 13.354,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2.2.2020 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten sowie die Berufung der Beklagten zu 1) werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner 47 Prozent und die Beklagte zu 1) 53 Prozent zu tragen.
Das vorliegende und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherungsleistung in Höhe von 110 % des aus beiden Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf insgesamt 28.715,99 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um eine Nutzungsentschädigung im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung eines vormals von den Beklagten bewohnten Hausgrundstücks.
Der Beklagte zu 2), sein Bruder sowie seine Schwester - die Nebenintervenientin - waren je zu 1/3 Miteigentümer des mit einem Dreifamilienhaus bebauten Grundstücks Straße1 in Stadt1 (Stadtteil1). Der Beklagte zu 2) bewohnte dort gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 1), die Wohnung im Dachgeschoss. Beide nutzten außerdem Teile des Kellers und die Garage alleine. Das Haus wurde teilungsversteigert. Im Rahmen des Versteigerungsverfahrens erstattete der Sachverständige A ein Verkehrswertgutachten zum Bewertungsstichtag 1.7.2014, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird (Anlage K6 zur Klageschrift, Anlagenband). Darin heißt es unter anderem, ein Zutritt zu der Wohnung im Dachgeschoss habe nicht erwirkt werden können. Die Liegenschaft befinde sich in gehobener Wohnlage im Bezirk1. Der Balkon der Dachgeschosswohnung sei sanierungsbedürftig. Er weise massive Feuchtigkeits- und Armierungsschäden auf. Eine Betonsanierung oder Rückbau werde notwendig werden. Die Wohnfläche der Dachgeschosswohnung betrage ca. 79 qm. Die Gesamtwohnfläche betrag 245 qm. Es sei eine Miete von 10 EUR/qm für die Dachgeschosswohnung anzusetzen. Die marktübliche Miete liege im Bewertungszeitpunkt über den im Mietspiegel verzeichneten Werten.
Die Kläger erhielten am 20.11.2015 den Zuschlag für das Hausgrundstück. Die Mieterin der Wohnung im Erdgeschoss zog am 31.12.2015 aus. Die Wohnung im ersten Stock stand leer. Die Kläger forderten die Beklagten zur Räumung bis zum 31.12.2015 auf. Die Beklagten wiesen das Räumungsverlangen unter Verweis auf einen angeblich im Jahr 2005 abgeschlossenen Mietvertrag zurück. Ihr Antrag auf einstweilige Zwangsvollstreckung (Zwangsräumung) vom 2.5.2016 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Stadt1 vom 24.5.2016 rechtskräftig zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss unter anderem, der vorgelegte Mietvertrag sei als Scheingeschäft unwirksam; die Geschwister des Beklagten und angeblichen Mitvermieter hätten eidesstattlich versichert, den Mietvertrag nicht unterzeichnet zu haben (Anlage K 4 zur Klageschrift). Die Beklagten räumten die von ihnen innegehaltenen Räumlichkeiten und Flächen erst am 20.1.2017. Die Kläger beanspruchen deshalb mit ihrer Klage Nutzungsentschädigung für den Zeitraum vom 1.1.2016 bis zum 20.1.2017.
Gegenstand der Klage sind außerdem Ansprüche im Zusammenhang mit einer unverzinslichen Briefgrundschuld über nominal 170.000 DM (= 86.919,62 EUR) nebst Zinsen, die im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs in dem das Anwesen betreffenden Grundbuch in Abt. III unter laufender Nummer 4 verzeichnet war. Ausweislich des Eintragung im Grundbuch war die Streithelferin Inhaberin dieser Briefgrundschuld. Diese machte die Grundschuld m...