Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen einer Rückstellungsbildung für gerichtlich geltend gemachte Schadensersatzansprüche
2. Zur objektiven Auslegung der Einladung zur Hauptversammlung einer AG
3. Zur ordnungsgemäßen Leitung der Hauptversammlung einer AG, insbesondere durch einen anfechtbar gewählten Versammlungsleiter sowie seine temporäre Verhinderung bei der Beratung und Beschlussfassung zu seiner Wahlbestätigung, ferner zur Leitungsfunktion des Versammlungsleiters sowie zu Art und Umfang zulässiger Redezeitbeschränkungen
4. Ein Bestätigungsbeschluss i.S.d. § 244 AktG stellt keine Neuvornahme dar.
5. Zum Wesentlichkeitserfordernis des § 243 Abs. 4 AktG
6. Zur Anfechtbarkeit von Entlassungsbeschlüssen von Vorstand und Aufsichtsrat einer AG wegen Abgabe einer unzutreffenden Entsprechenserklärung nach § 161 AktG
Normenkette
AktG §§ 161, 243 Abs. 4, § 244
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 19.6.2008 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. wie folgt abgeändert:
Die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 24.5.2007 zu Tagesordnungspunkt 3 (Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2006) und zu Tagesordnungspunkt 4 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2006) werden für nichtig erklärt.
Im Übrigen bleiben die Klagen abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben 8/9 der Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
Die Beklagte hat 1/9 der Kosten des Rechtsstreits und 1/9 der Kosten der Streithelfer der Kläger zu 7) und 8) zu tragen.
Die Streithelfer der Kläger zu 7) und 8) haben 8/9 ihrer Kosten selbst zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger und die Beklagte dürfen jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 900.000 EUR.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Änderung oder Ergänzung bedürfen, gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Die Kläger betreiben gegen die Beklagte Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen gegen zunächst bestimmte bzw. nunmehr sämtliche Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 24.5.2007 und rügen dabei u.a. Formfehler bei der Einladung und der Durchführung der Hauptversammlung sowie zahlreiche Informationsrechtsverletzungen durch unzureichende Beantwortung gestellter Fragen. Die Kläger zu 5) und 6) greifen darüber hinaus auch die Feststellung des Jahresabschlusses der Beklagten für das Geschäftsjahr 2006 an.
Das LG hat die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen mit der Begründung abgewiesen, dass die Beschlussfassungen in der Hauptversammlung vom 24.5.2007 zu den angegriffenen Tagesordnungspunkten 2 bis 14 weder Gesetz noch Satzung verletzen würden. Eine Nichtigkeit des Jahresabschlusses 2006 wegen Fehlens von Rückstellungen für Schadensersatzansprüche des Klägers zu 5) und einer A GmbH sei nicht gegeben. Eine Verletzung von Informationsrechten der Kläger in der Hauptversammlung wegen fehlerhafter Beantwortung gestellter Fragen sei weder im Hinblick auf Fragen der Hauptversammlung 2006 noch solche der Hauptversammlung 2007 im Zusammenhang mit der Wahlbestätigung von Dr. C oder den Beschlussfassungen zu den weiteren Tagesordnungspunkten feststellbar.
Gegen die Klageabweisung richtet sich die jeweils fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Kläger, mit der sie unter Wiederholung und teilweiser Vertiefung sowie Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die gestellten Anträge weiterverfolgen.
Der Kläger zu 1) beanstandet die Streitwertfestsetzung des LG mit der Begründung, er habe nur einen einzigen Tagesordnungspunkt angefochten; die Anfechtungen der anderen Streitgenossen seien ihm nicht zuzurechnen. Das Urteil des LG leide unter dem gravierenden formellen Mangel, dass die von ihm in Bezug genommene, nicht rechtskräftige Entscheidung vom 24.4.2007 (3-05 O 80/06; 17 U 176/07 OLG Frankfurt) nicht zur Grundlage seines Urteils, insbesondere nicht durch Beiziehung zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sei. Hinsichtlich der vom LG als unsubstantiiert bezeichneten Unregelmäßigkeiten bei den Auszählvorgängen sei die Beklagte zusätzlich beweisverpflichtet dafür, dass alle Beschlussfassungsvorgänge unangreifbar seien, weil sie sich hierauf berufe und ihm den Zugang seitens des Versammlungsleiters verwehrt habe. Bei einer Bestätigungswahl handele es sich nicht um eine Wiederholungs-, sondern um eine Neuwahl mit entsprechender Berichts- und Informationspflicht, insbesondere über die Interessenkollisionen bei Herrn Dr. C, sowie de...