Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung drittstaatlicher Sanktionsnormen bei Kaufvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (Blocking-VO), wenn ein Unternehmen aufgrund der Praxis des U.S.-amerikanischen Office of Foreign Asset Control als Specially Designated National and Blocked Person gilt, weil an ihm beteiligte Gesellschaften in der Specially Designated Nationals and Blocked Persons List geführt sind
2. Zur Berücksichtigung drittstaatlicher Sanktionsnormen und ihrer Auswirkungen als tatsächliche Umstände auf materiell-rechtlicher Ebene.
Normenkette
BGB § 138; VO (EG) 2271/96 Art. 5 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.11.2021; Aktenzeichen 3-15 O 37/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 1. November 2021 verkündete Urteil der 15. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 3-15 O 37/19) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Dieses und das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieser Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 10.198.239,60 festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Rückzahlung eines im Voraus geleisteten Kaufpreises von EUR 8.340.000 und Schadensersatz von rund EUR 1.870.000 wegen nicht erfolgter Warenlieferung.
Die Beklagte stellt Graphitelektroden her, die in Lichtbogenöfen zur Stahlschmelze verwendet werden. Sie gehört seit 2017 zum japanischen V Konzern, dem auch Schwestergesellschaften der Beklagten in den Vereinigten Staaten von Amerika angehören. Zur Herstellung von Graphitelektroden wird Petrol-Nadelkoks als Hauptrohstoff benötigt, den die Beklagte vor allem von US-amerikanischen Anbietern bezieht.
Die Klägerin ist eine auf den Gebieten der Industrie und des Bergbaus tätige Gesellschaft. Ihre Mehrheitsgesellschafterin ist die 60% der Geschäftsanteile haltende W (OHG), auch W1 Company genannt (im Folgenden: W1). Gesellschafter dieser Gesellschaft sind unter anderem die X Co. (im Folgenden: X) mit 39,2% der Geschäftsanteile und die Y Company (im Folgenden: Y) mit 10,4% der Anteile. Gesellschafterin der X ist die Bank1, die 70,43% deren Geschäftsanteile hält.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sanktionieren zu verschiedenen Zwecken und mit verschiedenen Absichten weltweit natürliche und juristische Personen sowie Personenzusammenschlüsse mit oder ohne Rechtsfähigkeit im Rahmen verschiedener Sanktionsprogramme. Das beim US-Bundesfinanzministerium angesiedelte Office of Foreign Asset Control (im Folgenden: OFAC) führt eine sogenannte "Schwarze Liste", die Specially Designated Nationals and Blocked Persons List (im Folgenden: SDN-Liste). Die Aufnahme in diese Liste als Specially Designated National (SDN) hat zur Folge, dass US-amerikanischen Personen Geschäfte mit dem jeweiligen SDN verboten sind. Aus der Liste sind abgekürzte Bezeichnungen ersichtlich, welche das Sanktionsprogramm oder die Sanktionsprogramme bezeichnen, auf deren Grundlage die Aufnahme in die Liste erfolgt. Verstöße gegen das Verbot, mit der aufgenommenen Person Geschäfte zu tätigen, werden mit Primärsanktionen (Primary Sanctions) - wie etwa dem Einfrieren des in den Vereinigten Staaten von Amerika belegenen Vermögens - geahndet. Zudem können Personen bei Vornahme bestimmter Geschäfte mit sanktionierten Personen ihrerseits mit Sekundärsanktionen (Secondary Sanctions) belegt werden, die auch in der Listung als SDN bestehen können. Im Rahmen einer Sekundärsanktion wird natürlichen und juristischen Personen, die der Jurisdiktion der Vereinigten Staaten von Amerika unterliegen, unter Strafandrohung untersagt, mit der sekundärsanktionierten Person Rechtsgeschäfte zu tätigen. Damit hat eine Sekundärsanktion wirtschaftlich insbesondere zur Folge, dass die sekundärsanktionierte Person in den Vereinigten Staaten von Amerika und mit von dort stammenden Personen keine Geschäftstätigkeit mehr entfalten kann.
Nach den Leitlinien des OFAC (Anlage B21, im Anlagenordner, in englischer Sprache) gilt auch eine Person, die direkt oder indirekt zu mindestens 50 % von einer oder mehreren gelisteten Personen gehalten wird, als SDN, ohne dass es einer expliziten SDN-Listung bedarf.
Auch die Europäische Union sanktioniert - regelmäßig auf Grundlage von Ratsverordnungen - zu verschiedenen Zwecken und mit verschiedenen Absichten weltweit natürliche und juristische Personen sowie Personenzusammenschlüsse mit oder ohne Rechtsfä...