Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorwerfbarer Diagnosefehler im Zusammenhang mit einer Malaria-Erkrankung; Mitverschulden des Patienten

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arzt kann einer Patientin im Falle eines vorwerfbaren Diagnosefehlers im Zusammenhang mit einer Malaria-Erkrankung nicht den Mitverschuldenseinwand entgegenhalten, diese habe vor dem Aufenthalt in einem Malaria-Risikogebiet keine Malaria-Prophylaxe vorgenommen.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 3, § 286 Abs. 1, § 256 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 531 Abs. 2; BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1, §§ 254, 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1; EGBGB Art. 40 Abs. 1; GKG § 61

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 13.09.2011; Aktenzeichen 2-18 O 175/07)

 

Tenor

Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten das am 13.9.2011 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 35.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.7.2007 zu zahlen.

Der Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 10.559,54 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.7.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges - verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weitere materielle Schäden zu ersetzen, die infolge der fehlerhaften ärztlichen Behandlung am 10.8.2002 entstanden sind oder noch entstehen werden.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin - soweit diese in der Hauptsache EUR 10.559,54 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.7.2007 sowie nebst anteiliger Kosten übersteigt - durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 42.000,00 abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet, soweit dieser in der Hauptsache EUR 10.559,54 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.7.2007 sowie nebst anteiliger Kosten übersteigt.

 

Gründe

I. Die 1967 geborene Klägerin ist Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Sie nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht auf Grund behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung am .../... 2002 in Anspruch.

Die Klägerin reiste im Jahreszeit 2002 mit ihrem Verlobten durch das südliche Afrika. Der Verlobte verunfallte dort tödlich. Die Klägerin hielt sich nach der Überführung des Leichnams nach Deutschland und dessen Beerdigung bei Freunden in Stadt1 auf. Dort traten bei ihr am ... 2002 erkältungsähnliche Symptome auf, woraufhin sie den Verdacht einer Malariaerkrankung schöpfte. Nachdem die Beschwerden am ... 2002 etwas nachgelassen hatten, entschloss sie sich, über Stadt2 nach Stadt3 zurückzureisen.

Am ... 2002 bezog die Klägerin ein Zimmer im A Hotel in Stadt2. Dort verschlechterte sich ihr Zustand wieder. Nach telefonischer Benachrichtigung der Zentrale des Bereitschaftsdienstes traf der Beklagte als diensthabender (Bereitschaftsdienst-)Arzt in Begleitung seines Sohnes, des Zeugen B, nach Mitternacht im Hotelzimmer der Klägerin ein. Diese teilte dem Beklagten mit, unter Fieber und schwerem Durchfall zu leiden. Weitere Mitteilungen sind streitig. Nach körperlicher Untersuchung der Klägerin diagnostizierte der Beklagte einen gastrointestinalen Infekt, verabreichte der Klägerin Paracetamol und verließ sie sodann. Im Notfallschein vermerkte der Beklagte in dem Feld "Befunde/Therapie" u.a.: "Pulmo o. p. B., [...], Fieber, Diarrhoe, Paracetamol 500 mg Tbl.". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in Kopie zu den Akten gereichten Notfallschein (BI. 555 d.A.) Bezug genommen.

In den darauf folgenden Stunden verschlechterte sich der Zustand der Klägerin. Sie verließ das Hotelzimmer nicht mehr und wurde am Morgen des ... 2002 vom Hotelpersonal bewusstlos im Bett aufgefunden.

Die Klägerin wurde zunächst notärztlich und dann bis zum ... 2002 intensivmedizinisch im Klinik1 Stadt2 versorgt. Dort wurden eine Malaria tropica mit Cerebralbeteiligung, ein Exanthem (entzündliche Hautveränderung) der oberen Thoraxhälfte, ein Hirnödem und cerebrale Krampfanfälle diagnostiziert und behandelt. Vom ... bis zum ... 2002 fand die Behandlung auf einer infektiologischen Station statt. Am ... 2002 konnte die Klägerin dort entlassen werden. Sie kehrte nach Stadt3 zurück und wurde dort (zunächst stationär) weiterbehandelt, wobei es im weiteren Verlauf im Wesentlichen um verbliebene Sehbeeinträchtigungen ging.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe das Vorliegen einer Malaria tropica in vorwerfbarer Weise übersehen. Sie habe ihn nämlich über ihre Afrikareise und ihre Befürchtung, ...

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