Entscheidungsstichwort (Thema)

Absprachewidriges Entfernen einer Patientin aus einer Klinik

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arzt muss nicht in jeder Minute eines Aufenthalts einer Patientin in einer Klinik damit rechnen, dass sich die Patientin plötzlich unerwartet und absprachewidrig entfernt.

2. Das sog. "Verflechtungs-Angebot" ist grundsätzlich ein Realitätskriterium, das für die Schilderung einer wahren Begebenheit spricht.

 

Normenkette

ZPO § 286 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.07.2015; Aktenzeichen 2-4 O 511/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1.7.2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main (2-4 O 511/13) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird, soweit er die Freistellung von außergerichtlichen Kosten in Höhe von EUR 334,75 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung begehrt, als unzulässig verworfen. Im Übrigen wird die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um angebliche Behandlungsfehler im Zusammenhang mit dem Tod der Ehefrau des Klägers am ... 2011

Der Kläger kam an jenem Tag gegen 17:30 Uhr nach Hause, wo ihn seine Ehefrau, geboren am ... 1944, darüber informierte, dass es ihr nicht gut gehe und sie Schmerzen im Hals habe. Der Kläger fuhr mit seiner Ehefrau in das Kreiskrankenhaus Stadt1, dessen Träger die Beklagte zu 3 ist. Der Kläger und seine Ehefrau begaben sich zu dem ab 19:00 Uhr tätigen kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Dort kam es zu einer Wartezeit. In diesem Zeitraum wies der Kläger das anwesende Personal darauf hin, dass seine Frau vermutlich einen Herzinfarkt oder Ähnliches habe. Der Bereitschaftsarzt des kassenärztlichen Notdienstes, Arzt1, untersuchte die Ehefrau des Klägers körperlich, wobei er den Blutdruck und das EKG als unauffällig ansah. Trotz dieser Befunde begaben sich der Kläger und seine Ehefrau nach der Untersuchung durch Arzt1 in die Kardiologie des Kreiskrankenhaus Stadt1, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dies auf Drängen des Klägers oder aufgrund einer Einweisung des Arzt1 erfolgte. Durch den dort tätigen Kardiologen - den Beklagten zu 2 - erhielt die Ehefrau des Klägers ein Bett auf der Station angeboten. Zwischen den Parteien ist streitig, ob weitere Untersuchungen noch am selben Tag geplant waren. Informationen oder Empfehlungen zu möglichen Risiken einer Ablehnung einer stationären Aufnahme gab der Beklagte zu 2 nicht. Die Ehefrau des Klägers nahm das angebotene Bett nicht an und fuhr mit dem Kläger wieder nach Hause, wo sie gegen 22:50 Uhr verstarb. Die Todesursache ist zwischen den Parteien streitig, ebenso die weiteren Einzelheiten des Gesprächs des Beklagten zu 2 mit der Ehefrau des Klägers sowie die genauen Umstände, unter denen sie das Krankenhaus verlassen hat.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger aus übergegangenem Recht seiner Ehefrau ein Schmerzensgeld, Ersatz des ihm angeblich entstandenen Unterhaltsschadens für die Zeit ab dem Tod seiner Ehefrau sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, er und seine Ehefrau seien "ohne Papiere" in die Kardiologie geschickt worden (Bl. 110 d.A.). Seine Ehefrau habe dort den Beklagten zu 2 gefragt, was er am potentiellen Aufnahmetag noch veranlassen werde, worauf der Beklagte zu 2 geäußert habe, es werde nichts mehr gemacht und die Ehefrau des Klägers werde am Folgetag in den Klinikablauf eingegliedert. Daraufhin habe die Ehefrau des Klägers gesagt, dass sie auch zu Hause schlafen könne und am nächsten Tag wiederkommen werde. Der Beklagte zu 2 habe sich daraufhin per Handschlag von dem Kläger und seiner Ehefrau verabschiedet.

Der Kläger hat ferner behauptet, dass der Beklagte zu 2 bei richtigem Einsatz das Leben der Ehefrau des Klägers hätte retten können, indem er eine Sofortmaßnahme mit Tropf, Marcumar usw. eingeleitet hätte. Seine Ehefrau sei zu Hause "an einem zweiten Herzinfarkt verstorben".

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld an ihn, mindestens EUR 2.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.8.2011 und außergerichtliche Kosten in Höhe von EUR 334,65 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen; die Beklagten zu 2 und 3 zudem zu verurteilen, an ihn EUR 78.208,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung z...

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