Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Bauvertrages wegen unberechtigter Einstellung der Arbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Die unberechtigte Einstellung der Arbeiten zur Durchsetzung eines Nachtrags und das Unterbleiben einer Fortsetzung binnen einer angemessenen Frist können als schwerwiegende Verletzung der bauvertraglichen Kooperationspflicht einen wichtigen Grund zur Kündigung des Bauvertrags darstellen.
2. Die Einstellung der Arbeiten ist jedenfalls dann unberechtigt, wenn die Nachtragsforderung dem Grunde nach unberechtigt ist, wenn der Auftragnehmer die Nachtragsforderung dem Auftraggeber nicht prüfbar dargelegt hat, wenn die dem Auftraggeber zuzugestehende Prüfungsfrist noch nicht verstrichen ist und soweit sie sich auf die nach dem ursprünglichen Vertrag geschuldete Bauleistung bezieht, wenn diese von der Äußerung nicht betroffen und unabhängig von dieser ausführbar ist.
3. Ein Architekt, der nach dem Bauvertrag über eine "originäre Architektenvollmacht" verfügt, kann dazu befugt sein, im Namen des Auftraggebers Fristen zu setzen und für den Fall des Fristablaufs die Kündigung anzudrohen.
4. Der Mehrkostenerstattungsanspruch des Auftraggebers nach § 8 Nr. 3 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 VOB/B i st im Ausgangspunkt auf die dem Auftraggeber tatsächlich entstandenen Mehrkosten gerichtet. Der Einwand des von der Kündigung betroffenen Auftragnehmers, der Auftraggeber habe einen unnötig teuren Unternehmer für die Fertigstellung ausgewählt, ist nach § 254 Abs. 2 BGB zu würdigen mit der Folge, dass den Auftragnehmer insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft.
Normenkette
BGB §§ 164, 273; VOB/B § 8 Nr. 3 Abs. 2 S. 1 Hs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 02.06.2010) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2.6.2010 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 83.819,29 EUR zzgl. Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.9.2007 zu zahlen. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten um die Abrechnung eines 2005 geschlossenen VOB-Vertrages über Abbrucharbeiten auf dem von der Klägerin betriebenen Flughafen. Die Beklagte sollte nach diesem Vertrag vier Gebäude abbrechen und das Abbruchmaterial entsorgen. Die von der Klägerin gestellten, dem Vertrag zugrunde gelegten "ZVB" enthielten folgende Regelung:
"2.3 Der für die Auftraggeberin handelnde Architekt/Ingenieur ist nicht bevollmächtigt, rechtsgeschäftliche Erklärungen im Namen der und mit Wirkung für die Auftraggeberin gegenüber dem Auftragnehmer abzugeben.
2.4 Auftragserteilungen oder sonstige Vergaben, die über die originäre Architektenvollmacht hinausgehen und eine Verpflichtung der (Klägerin) begründen, liegen in der Federführung der Abteilung 'Zentraler Einkauf und Bauvergabe' (ZEB)." (...)
Während der Arbeiten am ersten Gebäude (Los ..., Gebäude ...) kam es zu Meinungsverschiedenheiten über ein Nachtragsangebot der Beklagten vom 8.6.2005 (Anl. K 3, Bl. 78 d.A.). Die Architekten der Klägerin sagten noch am selben Tag die Prüfung des Nachtragsangebots zu und forderten die Beklagte auf, den Bauschutt des Gebäudes ... bis zum Ende der Woche zu räumen, insoweit bestehe Verzug (Anl. K 4, Bl. 79 d.A.). Die Beklagte stellte unter dem 10.6.2005 (Anl. K 6, Bl. 82 ff. d.A.) einen Verzug wegen verschiedener, vergangener Behinderungstatbestände in Abrede und erklärte (Bl. 83 u. d.A.):
"Wir weisen Sie vorsorglich darauf hin, dass wir die Massen erst abtransportieren und entsorgen, wenn eine schriftliche Zusage erteilt wird, in der sie der (Beklagten) mindestens 70 % des EPs vor Verhandlung garantieren."
Nachdem der Architekt der Klägerin die Beklagte unter dem 14.6.2005 (Anl. K 7, Bl. 85 d.A.) und dem 23.6.2005 (Anl. K 8, Bl. 86 d.A.) fruchtlos zur Wiederaufnahme der Arbeiten aufgefordert hatte, entzog die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 4.7.2005 (Anl. K 9, Bl. 87 d.A.) den Auftrag. In der Folgezeit ließ sie die zunächst der Beklagten übertragenen Arbeiten durch die Fa. X GmbH (nachfolgend: X) ausführen. Die hierdurch entstandenen Mehrkosten bilden den wesentlichen Gegenstand der erstinstanzlich auf 87.671,69 EUR zzgl. Zinsen bezifferten Klage, außerdem unstreitige Forderungen für die Lieferung von Treibstoff und Wasser, für einen Feuerwehreinsatz und die Erteilung von Ausweisen. Die Beklagte hat insbesondere die Berechtigung der Kündigung und - teilweise - die Angemessenheit der von der Fa. X berechneten Kosten bestritten, die Verjährungseinrede erhoben und hilfsweise mit ihrer Werklohnforderung für erb...