Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorfahrtsregel "rechts vor links" auf Parkplätzen
Leitsatz (amtlich)
1. Fahrgassen auf Parkplätzen sind grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes bzw. eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitige Rücksichtnahme (§ 1 StVO), d. h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen.
2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen. Fehlt es an solchen baulichen Merkmalen, muss die Ausgestaltung umso klarer durch die Fahrbahnführung und -markierung sein. Maßgeblich ist jedoch, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, auf der fraglichen Verkehrsfläche deutlich im Vordergrund steht. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen ist daher keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindestens auch zweckbestimmend ist.
Normenkette
StVO § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 23.12.2021; Aktenzeichen 2 O 1096/20) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Das am 23. Dezember 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.772,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. April 2020 und weitere 453,87 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die in erster Instanz entstanden Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger 2/3 und den Beklagten 1/3 zur Last.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich mit der Berufung gegen die Teilabweisung seiner Klage, mit der er die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls in Anspruch genommen hat.
Der Kläger ist Eigentümer und Halter des Fahrzeugs PKW1 mit dem amtlichen Kennzeichen ... Der Beklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt Halter und Fahrer des Fahrzeugs PKW2 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., welches bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war.
Am XX.XX.2020 befuhr X mit dem Fahrzeug des Klägers den Parkplatz eines Baumarktes in Stadt1, dessen Betreiber für den Parkplatz die Geltung der StVO angeordnet hatte. Die von Herrn X benutzte Fahrgasse führt zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes. In diese Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Eine dieser Fahrgassen befuhr der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug, als es im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß der Fahrzeuge der Parteien kam. In Fahrtrichtung links neben der von Herrn X benutzten Fahrgasse sind im rechten Winkel Parkboxen angeordnet. Rechts und links der einmündenden Fahrgassen befinden sich ebenfalls im rechten Winkel angeordnete Parkboxen. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeit sowie der Anstoßsituation der Fahrzeuge wird auf die Anlagen zum Gutachten des in erster Instanz tätigen Sachverständigen Y (Bl. 117 - 121 und 130 - 132 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat die Beklagten wegen der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden auf Zahlung der Reparaturkosten gemäß Gutachten i.H.v. 6.002,25 EUR, der Gutachterkosten i.H.v. 933,07 EUR, einer allgemeinen Kostenpauschale i.H.v. 25,00 EUR und auf Ersatz eines merkantilen Fahrzeugminderwertes i.H.v. 650,00 EUR in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat der Kläger die Zahlung von Verzugszinsen und die Erstattung vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten verlangt.
Das Landgericht hat nach Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Y die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 2.068,76 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.886,46 EUR seit dem 8. April 2020 und aus 182,31 EUR seit dem 10. Juli 2020 verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagten in der ausgeurteilten Höhe gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 18 StVG, § 115 VVG. Die Beklagten hafteten für den entstandenen Schaden i.H.v. 25 %. Keiner der Parteien sei der Nachweis gelungen, dass der Unfall für sie ein unabwe...