Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Koppelungsmissbrauch beim Vorwurf, überhöhte Entgelte für eine gewünschte Leistung entrichtet zu haben
Leitsatz (amtlich)
1. Die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen mit der DB Vertrieb im Jahr 2011/2012 im Rahmen der jeweiligen Tarifkooperationen abgeschlossenen Dienstleistungsverträge begründen keine Ansprüche wegen ausbeuterischer Koppelung im Sinnes.des Art. 102 lit. d AEUV, wenn sich aus dem klägerischen Vortrag nicht ergibt, dass ihnen weitergehende Leistungen im Sinne eines Koppelungsprodukts aufgedrängt worden sind.
2. Eine "Koppelung auf Preisebene" unterfällt allein dem Tatbestand des Preishöhenmissbrauchs nach Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV.
Normenkette
AEG § 12; AEUV Art. 102; GWB § 19 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.08.2019; Aktenzeichen 2-06 O 501/18) |
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.08.2019 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1) zu 55%, die Klägerin zu 2) zu 42%, die Klägerin zu 3) zu 1% und die Klägerin zu 4) zu 2 % zu tragen.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Kartellschadensersatzansprüche im Zusammenhang mit von den Klägerinnen an die Beklagte zu 1) gezahlten Provisionen für den Verkauf von Fahrscheinen im Schienenpersonennahverkehr in den Jahren 2011-2012.
Die Klägerinnen gehören zum Staatsbahnkonzern des Landes1 und erbringen deutschlandweit jeweils auf Basis von Verkehrsverträgen mit den öffentlichen Aufgabenträgern auf verschiedenen Linien Eisenbahnverkehrsdienstleistungen im Schienenpersonennahverkehr. Die Klägerin zu 1) betreibt die Netze: Region1, Region2, Region3; die Klägerin zu 2) die drei Netze: Region4, Region5 und Region6; die Klägerin zu 3) die drei Netze: Region7, Region8, Region9 und die Klägerin zu 4) das Netz: Region10.
Die Beklagte zu 1) vertreibt bundesweit alle Fahrscheine der A im Nah- und Fernverkehr. Daneben betreibt sie das online-Verkaufsportal www.(...).de. Die Beklagte zu 2) ist die Holdinggesellschaft der A-Gruppe. Sie war alleinige Gesellschafterin der Zwischenholding A3 AG, die ihrerseits die alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 1) und der A1 AG war.
In Umsetzung von § 12 AEG, wonach die Eisenbahnverkehrsunternehmen (im Folgenden: EVU) ihr Tarifwerk in so genannten Tarifkooperationen für einen regionalen Raum festschreiben müssen, bildeten die Klägerinnen mit der Beklagten zu 1) Tarifkooperationen für den so genannten X-Tarif. Es handelt sich um den einzigen deutschlandweiten verbundübergreifenden Tarif, der als sog. Lückenschließertarif sicherstellt, dass der Fahrgast mit einem Fahrschein zwischen einzelnen regionalen Tarifgebieten und ggf. dazwischen befindlichen A-Gebieten fahren kann. Es wird ein Tarifwerk festgelegt, dass innerhalb seines regionalen Geltungsbereichs für alle teilnehmenden Verkehrsunternehmen gilt. Fahrgäste innerhalb dieses Tarifraums benötigen für das Umsteigen auf einen anderen Verkehrsanbieter deshalb keinen zusätzlichen Fahrschein. Bestandteil des Tarifwerks ist es, dass Fahrscheine verkauft werden, die von den Fahrgästen in anderen Verkehrsunternehmen eingesetzt und von diesen anerkannt werden müssen.
Der jeweils zugrundeliegende bilaterale Vertrag ist in zwei separate Verträge aufgespalten: Der erste Vertrag (Kooperationsvertrag) regelt u.a. den Einnahmeanspruch der nicht bundeseigenen Eisenbahnen an den von der A4 verkauften Fahrscheinen für ihre Strecken. Der zweite Vertrag (Dienstleistungsvertrag, Muster Anlage K 7) regelt u.a. den wechselseitigen Vertrieb und die Höhe der von den nichtbundeseigenen Unternehmen (im folgenden NE-Bahnen) - wie den Klägerinnen - dafür an die Beklagte zu 1) zu entrichtenden Provisionen. Die Klägerinnen haben im streitgegenständlichen Zeitraum 2011/2012 zwischen 10,8 und 18,65 % Provision an die Beklagte zu 1) gezahlt.
Für den Vertrieb von Fahrscheinen von den NE-Bahnen untereinander und für den Vertrieb von Fahrscheinen der Beklagten zu 1) erhielten die NE-Bahnen einen Provisionssatz von 7,5%.
2014 leitete das Bundeskartellamt ein Missbrauchsverfahren gegen die Beklagte zu 2) ein, dass am 24.5.2016 mit einem Beschluss über die Annahme einer Verpflichtungszusage endete (Anl. K1, Anlagenordner). In dieser Verpflichtungszusage verpflichteten sich die Beklagte zu 2) sowie die "relevanten Konzerngesellschaften" (Anl. K 1, S. 23), ab dem 01.07.2016 einen Basis-Vertriebskooperationsvertrag anzubieten, bei dem für drei Jahre ein Provisionssatz von max. 8,5 % des Verkaufspreises der von ihr verkauften Fahrscheine von den NE-Bahnen zu entrichten ist. Darüber hinaus sollte der A...