Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Krankenversicherung: Anspruch des Versicherungsnehmers auf Herausgabe des Nachtrags zum Versicherungsschein für eine zurückliegende Beitragsanpassung
Leitsatz (amtlich)
1. Aus § 3 Abs. 3 VVG ergibt sich nur ein Anspruch auf Ersatzausstellung solcher Nachträge zum Versicherungsschein, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht aber bereits überholte Nachträge.(Rn. 68)
2. § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG bezieht sich nur auf eigene Erklärungen des Versicherungsnehmers, nicht aber auf solche des Versicherers. (Rn. 69)
3. § 810 BGB ermöglicht lediglich die Gestattung der Einsichtnahme in eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde. (Rn. 70)
4. Der Versicherungsnehmer ist nicht schon dann entschuldbar über seine Rechte im Ungewissen, wenn er die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt. (Rn. 71)
5. Ein Auskunftsanspruch auf Herausgabe des Nachtrags zum Versicherungsschein nach Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO ist abzulehnen, wenn der Versicherungsnehmer keine Beschränkung seines Anspruchs und seines Antrags auf die im Nachtrag zum Versicherungsschein enthaltenen einzelnen personenbezogenen Daten vorgenommen hat und auch nicht geltend macht, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, so dass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie des vollständigen Nachtrags zum Versicherungsschein nötig wäre (Anschluss BGH, 27. September 2023, IV ZR 177/22). (Rn. 72) (Rn. 73) (Rn. 76)
Normenkette
BGB §§ 242, 810; EUV 2016/679 Art. 15 Abs. 1-2; VVG § 3 Abs. 3-4
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 08.09.2022; Aktenzeichen 2 O 186/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 8. September 2022, 2 O 186/22, wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für die Berufung wird auf 10.700,- EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung. Der Kläger, der bei der Beklagten privat krankenversichert ist, hat in erster Instanz im Wege der Stufenklage von der Beklagten auf der ersten Stufe die Herausgabe der Nachträge zum Versicherungsschein betreffend sämtliche Beitragsanpassungen ab 2012 sowie weiterer Unterlagen und auf der zweiten Stufe die Rückzahlung der sich aus den Unterlagen ergebenden zu Unrecht geleisteten Beitragserhöhungen sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe gezogener Nutzungen nebst Zinsen begehrt.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 118 R ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Stufenklage sei unzulässig, da das von dem Kläger begehrte Auskunftsbündel der erstmaligen Prüfung diene, ob überhaupt ein Anspruch gegen die Beklagte bestehe.
Die danach unzulässige Stufenklage sei in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung umzudeuten. Der unbezifferte Leistungsantrag und der unkonkrete Feststellungsantrag seien wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot unzulässig. Das Auskunftsbegehren sei unbegründet, da dem Kläger bereits keine Anspruchsgrundlage zur Seite stehe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 119 ff. d.A.) verwiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
Der Kläger hat zunächst sein erstinstanzliches Klageziel unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiterverfolgt.
Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2023 hat der Kläger den ursprünglichen Auskunftsantrag für teilweise erledigt erklärt und seinen Antrag umfangreich geändert.
Er vertritt die Auffassung, nachdem er in dem Auskunftsantrag die jeweiligen Beitragsanpassungen benannt und nach Tarifen und Daten konkretisiert habe, sei die Stufenklage nunmehr zulässig. Er benötige die Auskunft nur noch zur Bezifferung seines Zahlungsantrags.
Die Beitragserhöhungen seien formell unwirksam, was der Kläger für die Erhöhungen der Jahre 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 unter auszugsweiser Zitierung aus den Mitteilungsschreiben näher begründet.
Dem Versicherungsnehmer werde es zudem durch die zahlreichen Gutschriften nahezu unmöglich gemacht, seine Beitragserhöhungen nachvollziehen zu können. Obwohl der Versicherungsnehmer mehrere Jahre von einer Beitragserhöhung verschont bleibe, steige der Gesamtbetrag dennoch konstant, da die Gutschrift wegfalle.
Die Mitteilungsschreiben ließen zudem einen Hinweis auf einen vorab festgelegten Schwellenwert, dessen Überschreitung die Prämienanpassung ausgelöst habe, nicht erkennen. Auch werde in keinem Schreiben erläutert, ob etwaige konkrete Veränderungen nicht nur vorübergehender Natur seien.
Der Kläger bestreitet zudem die materielle Wirksamkeit sämtlicher streitgegenständlicher Beitragsanpassungen, und zwar ...