Normenkette

Börsengesetz §§ 66a, 78; Regelwerk Neuer Markt § 2.2.1.5.2.2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3/3 O 145/01)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Verfügungsklägerinnen wird das am 19.12.2001 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt am Main abgeändert.

Der Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Vorstandsmitgliedern, untersagt,

1. Abschn. 2 Ziff. 2.1.5 Abs. 2 Nr. 2 des Regelwerks Neuer Markt (Stand: 1.10.2001) mit Wirkung

a) vor dem 30.9.2002 auf die Verfügungsklägerin zu 5),

b) vor der erstinstanzlichen Entscheidung in dem jeweiligen Hauptsacherechtsstreit auf die übrigen Verfügungsklägerinnen anzuwenden;

2. die zu Lasten der Verfügungsklägerinnen zu 1), 2), 4), 5) und 6) bereits getroffene Entscheidung über die Beendigung der Zulassung der Aktien zum Neuen Markt in Vollzug zu setzen.

Der weiter gehende Antrag und die weitergehende Berufung der Verfügungsklägerin zu 4) werden zurückgewiesen.

Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

 

Tatbestand

Die Verfügungsklägerinnen sind Emittenten, deren Aktien am Neuen Markt gehandelt werden. Die Verfügungsbeklagte hat den Neuen Markt in privatrechtlicher Form organisiert und hat hierfür das „Regelwerk Neuer Markt” (im Folgenden nur: Regelwerk) aufgestellt, das sie seit seinem ersten In-Kraft-Treten im März 1997 mehrfach geändert hat.

In einer Presseerklärung vom 20.7.2001 kündigte die Verfügungsbeklagte an, zum 1.10.2001 das Regelwerk dahin ändern zu wollen, dass Unternehmen mit zu niedrigem Börsenkurs und zu niedriger Marktkapitalisierung aus dem Neuen Markt ausgeschlossen werden (sog. Penny-Stocks-Regelung). In einem Schreiben vom 21.9.2001 gab die Verfügungsbeklagte den Emittenten die geplanten Änderungen bekannt. Die hier interessierende Neuregelung, gegen deren Anwendung sich die Verfügungsklägerinnen im Eilverfahren zur Wehr setzen, hat in ihrer endgültigen Fassung, die die Verfügungsbeklagte zum 1.10.2001 in Kraft setzte, folgenden Wortlaut (Abschn. 2 des Regelwerks):

2.1.5 Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt

(1) …

(2) Die DBAG wird die Zulassung zum Neuen Markt beenden,

1. …

2. wenn der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien für die Dauer von 30 aufeinander folgenden Börsentagen weniger als 1 Euro pro Aktie beträgt und die Marktkapitalisierung 20 Mio. Euro unterschreitet, es sei denn, dass der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien innerhalb weiterer 90 Börsentage an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen mindestens 1 Euro und die Marktkapitalisierung mindestens 20 Mio. Euro beträgt.

In Ziff. 2.1.5 Abs. 3 ist vorgesehen, dass die Beendigung in den Fällen des Abs. 2 einen Monat nach Bekanntmachung der Entscheidung der Verfügungsbeklagten wirksam wird.

In der letzten Woche des Monats März 2002 gab die Verfügungsbeklagte die Beendigung der Zulassung der Aktien der Verfügungsklägerinnen zu 1), 2) und 4) bis 6) auf der Grundlage der vorstehend zitierten Neuregelung bekannt.

Die Verfügungsklägerinnen haben – überwiegend schon vor dem 1.10.2001 – Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, um der Verfügungsbeklagten die Anwendung der neuen Ausschlussklausel auf sie – teils zeitlich begrenzt – untersagen zu lassen. Sie haben die Ansicht vertreten, die neue Regelung sei unwirksam, weil die Verfügungsbeklagte nicht berechtigt sei, das Regelwerk in dieser Weise einseitig zu ändern, und weil die betreffende Klausel auch inhaltlich nicht angemessen sei. Die quantitativen Ausschlusskriterien – insbesondere die Grenze von 20 Mio. Euro für die Marktkapitalisierung – seien willkürlich gewählt. Außerdem lasse ihnen die kurzfristige Inkraftsetzung zu wenig Spielraum, um wirksame Maßnahmen gegen einen drohenden Ausschluss zu ergreifen.

Die Verfügungsbeklagte hat gemeint, die Anträge seien unzulässig und auch in der Sache nicht begründet. Sie sei zur einseitigen Änderung des Regelwerks berechtigt. Das ergebe sich aus §§ 78 BörsG, 66a BörsO. Außerdem hätten ihr die Verfügungsklägerinnen bei der Zulassung zum Neuen Markt jeweils durch gesonderte Erklärungen die Änderungsbefugnis vertraglich eingeräumt. Das habe im Laufe der Zeit seine Bestätigung dadurch gefunden, dass die Verfügungsklägerinnen zahlreichen Änderungen nicht widersprochen hätten. Ferner lasse sich ihre Änderungsbefugnis aus einem entsprechenden Vorbehalt in Abschn. 1 Ziff. 2 des Regelwerks sowie aus einer interessengerechten – hilfsweise einer ergänzenden – Vertragsauslegung herleiten. Des Weiteren sei sie berechtigt, die mit den Verfügungsklägerinnen abgeschlossenen Verträge über die Zulassung zur Notierung am Neuen Markt ordentlich zu kündigen oder auch durch eine fristlose Kündigung zu beenden. In Anbetracht dieses Rechts seien die in der Neuregelung vorgesehenen Fristen nicht zu kurz. Auch i....

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