Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung gegen möglichen Ausschluss eines Emittenten vom Neuen Markt

 

Normenkette

BörsenG § 78 Abs. 1; BörsenO § 66a; ZPO §§ 935, 940

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3/13 O 110/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 16.8.2001 verkündete Urteil der 13. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt am Main abgeändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die Berufung der Verfügungsklägerin werden zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Eilverfahren um die Wirksamkeit einer durch Presseerklärung der Verfügungsbeklagten vom 20.7.2001 angekündigten und zum 1.10.2001 in Kraft gesetzten Änderung des Regelwerks für den Neuen Markt. Danach sollen Unternehmen aus dem Neuen Markt ausgeschlossen werden, deren Aktien an dreißig aufeinanderfolgenden Börsentagen einen Tagesdurchschnittskurs von 1 Euro und eine Marktkapitalisierung von 20 Mio. Euro unterschreiten und beide Werte in den nächsten 90 Börsentagen nicht an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen übertreffen (sog. Penny-Stocks-Regelung).

Die Verfügungsklägerin ist eines der Unternehmen, deren Aktien am Neuen Markt der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden. Ihr Grundkapital beträgt 5.860.000 Euro, eingeteilt in 5.860.000 Euro nennwertlose Stückaktien.

Mit ihrem am 26.7.2001 eingereichten und in der mündlichen Verhandlung vor dem LG bezüglich der Wirkungsdauer beschränkten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Verfügungsklägerin begehrt, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, das Regelwerk des Neuen Marktes mit Wirkung vor dem 1.10.2002 in dem beabsichtigten Sinne zu ändern und/oder dies in der Öffentlichkeit bekannt zu geben.

Sie hat die Befürchtung geäußert, von der geplanten Änderung erfasst zu werden, und hat behauptet, dass nicht erst ihr Ausschluss, sondern schon dessen Gefahr zu weiteren Kursrückgängen führe. Deshalb werde schon durch die beabsichtigte Regelung und deren Bekanntgabe in der Pressemitteilung vom 20.7.2001 in erheblichem Maße geschädigt.

Den Verfügungsanspruch hat sie daraus hergeleitet, dass die angestrebte Änderung rechtswidrig sei, weil die Verfügungsbeklagte keine Befugnis habe, das Regelwerk des Neuen Marktes (im folgenden nur: Regelwerk) einseitig zu ändern. Der Neue Markt sei privatrechtlich organisiert. Bei dem Regelwerk handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Verfügungsbeklagten. Ein evtl. darin enthaltener Änderungsvorbehalt sei gemäß § 9 AGBG unwirksam. Sie wende sich allerdings nicht schlechthin gegen die beabsichtigte Änderung, sondern gegen deren kurzfristige Umsetzung. Ob die Regelung überhaupt rechtlich zulässig sei, könne deshalb für die Entscheidung dieses Verfahrens dahingestellt bleiben.

Jedenfalls unterlägen solche einseitigen Änderungen von Vertragsbedingungen dem Maßstab des § 315 BGB. Sie seien nur wirksam, wenn sie der Billigkeit entsprächen. Das sei hier jedenfalls wegen der kurzen Umstellungsfrist nicht der Fall. Diese Frist lasse den betroffenen Unternehmen keine realistische und zumutbare Möglichkeit, sich auf die geänderten Bedingungen einzustellen.

Demgegenüber hat die Verfügungsbeklagte die Auffassung vertreten, der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Verfügungsklägerin damit schon im Eilverfahren eine endgültige Entscheidung anstrebe. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, weil sie aufgrund der §§ 78 Abs. 1 BörsG, 66a BörsO befugt sei, das Regelwerk zu ändern. Selbst wenn die geplante Änderung einer Überprüfung am Maßstab des § 315 BGB unterworfen werden müsste, hielte sie der Überprüfung nach billigem Ermessen stand.

Das LG hat in seinem Urteil der Verfügungsbeklagten untersagt, das geänderte Regelwerk zu Lasten der Verfügungsklägerin mit Wirkung vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Inkrafttreten anzuwenden. Den weitergehenden Antrag hat es zurückgewiesen. Es hat den Antrag insoweit für unzulässig gehalten, als die Verfügungsklägerin das Inkrafttreten der vorgesehenen Änderung für alle Teilnehmer am Neuen Markt habe verhindern wollen. Insoweit fehle ihr auch unter den Besonderheiten dieses Falles das Rechtsschutzbedürfnis.

In der Sache ist das LG der Verfügungsklägerin darin gefolgt, dass es sich bei dem Regelwerk um AGB handele. Die einseitige Änderungsbefugnis hat es daraus hergeleitet, dass sich die Verfügungsklägerin durch eine Individualvereinbarung (§ 4 AGBG) ggü. der Frankfurter Wertpapierbörse verpflichtet habe, die Zulassungsfolgepflichten des Regelwerks in der jeweils gültigen Fassung zu beachten. Die einseitige Bestimmung müsse jedoch an den Maßstäben des § 315 BGB gemessen werden. Da der vorgesehene Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Regeländerung unbillig sei, müsse er gem. § 315 Abs. 3 S. 2 BGB durch gerichtliche Bestimmung ersetzt werden. Die Abwägung der beiden schutzwürdigen Belange führe dazu, dass die Verfügungsbeklagte die Änderung ggü. der Verfügungsklägerin e...

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