Leitsatz (amtlich)

1. Zu einem Behandlungsfehler bei der Korrektur einer Valgus-Fehlstellung (hier: Überkorrektur).

2. Ein durch einen Behandlungsfehler bei einer Operation geschädigter Patient ist aus Gründen der Schadensminderung nicht gehalten, eine weitere Operation und die damit verbundenen Risiken auf sich zu nehmen, um die negativen Folgen der Operation zu beheben.

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-18 O 225/01)

 

Gründe

I.

Die 1961 geborene Klägerin erlitt 1969 einen Unfall, bei dem ihr linkes Bein in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nach Abschluss des Wachstums war das linke Bein 2 cm kürzer als das rechte Bein und es war eine O-förmige Ausbiegung des Oberschenkels ("Varus-Fehlstellung") mit kompensatorischer Gegenschwingung oberhalb des Kniegelenks ("Valgus-Fehlstellung") verblieben, so dass eine annähernd S-förmige Fehlstellung vorlag.

Die Klägerin fühlte sich durch diesen Zustand zunächst nicht behindert. Später traten jedoch Beschwerden ein. Am 24.5.1996 wurde zunächst die Varus-Fehlstellung im oberen/mittleren Bereich des Oberschenkels operativ korrigiert. Danach verblieb dort noch eine Varus-Fehlstellung von 10 Grad.

Zur Korrektur der knienahen Valgus-Fehlstellung wurde die Klägerin in das Krankenhaus des Beklagten zu 1. aufgenommen, wo der Beklagte zu 2. die Korrekturoperation am 25.7.1997 durchführte.

Dabei ist dem Beklagten zu 2. ein Fehler unterlaufen. Der Beklagte zu 2. hatte sich vor der Operation keinen ausreichenden Überblick über die Gesamtsituation des linken Beines in Gestalt eines vollständigen Röntgenbildes verschafft, sondern lediglich über den Bereich der nun anstehenden knienahen Operation, und korrigierte - per se korrekt - die knienahe Valgusfehlstellung komplett mit der Folge, dass mit Blick auf den gesamten Oberschenkel eine deutliche Varus-Fehlstellung verblieb. Er hätte - so der Sachverständige Prof. Dr. SV1 und ihm folgend das Landgericht - hier lediglich eine Korrektur um 5 Grad vornehmen dürfen, um den Oberschenkel (eingedenk der dortigen Varus-Fehlstellung) damit insgesamt in eine anatomische "Nullachse" zu verbringen. Stattdessen hat er im Ergebnis eine Überkorrektur durchgeführt, so dass das Bein der Klägerin nun noch eine Varus-Fehlstellung von 8 - 12 Grad aufweist. Diese verbliebene Fehlstellung kann unter Eingehung beherrschbarer Risiken abermals operativ behoben werden. Wird die Klägerin später nicht noch einmal operiert, drohen vermehrte Verschleißerscheinungen, insbesondere am Innenknie bis hin zu der Notwendigkeit, ein künstliches Kniegelenk einzusetzen.

Die Klägerin hat Schmerzensgeld in angemessener Höhe sowie den Ersatz bezifferter materieller Schäden einschließlich einer Schadensrente und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich ihres zukünftigen materiellen Schadens begehrt. Die Beklagten haben sich gegen die Klage verteidigt.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (Bl. 501 ff d.A.).

Das Landgericht hat - unfallchirugisch-orthopädisch beraten durch Prof. Dr. SV1 - der Klägerin ein Schmerzensgeld von 8.000 EUR zugesprochen, die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen, also betreffend den bezifferten materiellen Schadensersatz und die Schadensersatzrente, abgewiesen.

Der Behandlungsfehler liege in der oben geschilderten Überkorrektur der Fehlstellung, die auf einer mangelhaften Operationsplanung beruhe. Die Operation sei ansonsten fehlerfrei durchgeführt worden. Die nunmehr verbliebene Varus-Fehlstellung sei die primäre Folge des Fehlers. Eine von der Klägerin beklagte verbliebene Innenrotation beruhe nicht auf dem Operationsfehler, denn insoweit sei der Beklagte zu 2. kunstgerecht vorgegangen. Eine bei der Klägerin gegebene Beinverkürzung sei dem Beklagten zu 2. nicht vorzuwerfen, ebensowenig liege ein Aufklärungsfehler vor.

Hinsichtlich der materiellen Schäden sei nicht erkennbar, inwieweit diese auf dem Fehler des Beklagten zu 2. beruhen, was vom Landgericht näher ausgeführt wird (S. 9 des Urteils) und im wesentlichen damit begründet wird, dass die Klägerin auf Grund der in der Jugend erlittenen Schädigungen prädisponiert ist. Im Ergebnis sei eine konkrete Schädigung der Klägerin durch die verbliebene Varus-Fehlstellung vom Sachverständigen nicht festgestellt worden.

Die Beklagten haben das erstinstanzliche Urteil akzeptiert.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihre erstinstanzlichen Klageanträge zu 2. (mat. Schadensersatz) und 3. (Schadensrente) weiter.

Die Klägerin begründet die Berufung damit, das Landgericht habe die Abweisung der weiterverfolgten Anträge auf eigene Sachkunde gestützt und versäumt, den Sachverständigen dazu zu befragen. Das betreffe sowohl die Beschwerden als Folge der verbliebenen Varus-Fehlstellung als auch die Folgen der Beinlängendifferenz. Insofern habe das Landgericht zu Unrecht keinen Behandlungsfehler angenommen und schon die Werte der Beinlängenverkürzung unzutreffend in seine Überlegungen eingest...

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