Leitsatz (amtlich)
Entsteht infolge komplikationsreichen Heilverlaufs einer unfallbedingten Mittelfußfraktur eine Dysregulierung der die Nerven umgebenden Gefäße, die zur Nervenatrophie und in der Folge davon zu Kausalgien führt, ist bei der Bemessung des Invaliditätsgrades nach dem System der vereinbarten Gliedertaxe nicht auf den Sitz der eingetretenen Verletzung (= Fußwert), sondern auf den der Auswirkung der Verletzung (= Beinwert) abzustellen.
Normenkette
AUB-88 § 7
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Aktenzeichen 1 O 208/01) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.872,63 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach DÜG aus 11.248,42 EUR vom 16. März bis 29.11.2001 und aus 16.872,63 EUR seit dem 30.11.2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die weiter gehende Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger 2/5 und die Beklagte 3/5 zu tragen. Von den Kosten der Berufung fallen dem Kläger 2/3 und der Beklagten 1/3 zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer 1989 bei deren Rechtsvorgängerin genommenen Unfallversicherung, der die AUB 88 zugrunde liegen, auf Invaliditätsleistung wegen der Folgen eines am 5.2.1997 erlittenen Arbeitsunfalles in Anspruch. Beim Abladen eines Lkw riss die Bordwand aus der Verankerung und fiel auf den Fuß des Klägers, der dadurch eine komplizierte Mittelfußfraktur mit Nervenschädigung erlitt. Nach dem ärztlichen Folgebericht der ....klinik O1, Dr. A vom 21.1.2000 gestaltete sich nach operativer Behandlung und Entfernen der Metallimplantate der Heilverlauf komplikationsreich, ohne jedoch auf unfallchirurgischen Gebiet Dauerfolgen zu hinterlassen. Auf neuropsychiatrischem Gebiet stellte der Sachverständige Dr. B. der X.-Klinik in O2 ein aus den unfallbedingten Verformungen des Vorfußbereichs und der intraoperativ bedingten Schädigung der Plantarnerven resultierendes erhebliches Schmerzsyndrom fest, das er mit einem Invaliditätsgrad von 1/7 Beinwert bewertete. In einem knapp 3 % Jahre nach dem Unfall erstatteten schmerztherapeutischen Gutachten gelangten Prof. Dr. Dr. C. und Dr. D vom Klinikum der ...-Universität O3 zur Feststellung, dass die Intensität des unfallbedingt entstandenen chronischen Schmerzsyndroms zwar ungewöhnlich, im Hinblick auf den neuropathischen Schmerzcharakter aber nachvollziehbar sei. Unter Einbeziehung dieses Gutachtens revidierte der Sachverständige Dr. B. die Gesamtgebrauchsbeeinträchtigung auf 2/7 Beinwert. Auf dieser Grundlage rechnete die Beklagte die Invalíditätsleistung ab (22.000 DM). Im Herbst 2001 unterzog sich der Kläger einer erneuten operativen und therapeutischen Behandlung, was jedoch nur kurzfristig zu einer Schmerzlinderung führte, weshalb die Fachärztin für Orthopädie Dr. E die Beeinträchtigung durch die bestehende kausalgieforme Schmerzsymptomatik und posttraumatische Fußdeformation mit Eversionsstellung des Vorfußes mit 3/5 bis 4/5 Beinwert einstufte.
Der Kläger behauptet, durch die mit der Fußverletzung einhergehende Nervenschädigung sei nicht nur die Gebrauchsfähigkeit des rechten Fußes, sondern die seines Beines so gravierend beeinträchtigt, dass dieses nur noch zu belastungsfreien Abstützung der Ferse tauge. Er begehrt daher Invaliditätsleistung nach 7/7 Beinwert (77.000 DM abzgl. gezahlter 22.000 DM = 28.121,05 EUR).
Die Beklagte verweist darauf, dass nach Fußverletzung lediglich eine Gebrauchsminderung des Fußes vorliege, während das Bein funktionstauglich sei und bezieht sich insoweit auf das durch die F Versicherung eingeholte Aktengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. Zudem führt sie die Beschwerden des Klägers auf eine psychisches Fehlverarbeitung der Unfallfolgen zurück, die als psychische Beeinträchtigung gem. § 2 Abs. 4 AUB 88 vom Versicherungsschutz nicht umfasst seien und deshalb bei der Leistungsbemessung außer Betracht zu bleiben hätten.
Das LG hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Es folgte hierbei dem eingeholten schmerzheilkundlichen Gutachten des Direktors der Klinik für Anästhesiologie der Universität O4 Prof. Dr. H. und dessen Erläuterungen, nach denen als Folge des Unfalltraumas ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS Typ II) vorliege, das einen geordneten Ablauf der normalen Verletzungsreaktionen im Nervensystem verhindere, weshalb nicht allein auf den Fußwert, sondern den vollen Beinwert abzustellen sei. Im Grunde sei der Kläger schlimmer dran als ein schmerzfreier Beinamputierter, der in Grenzen ein normales Leben führen könne.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung hält die Beklagte daran fest, dass ausschließlich eine Fußverletzung vorliege, so dass die Invalidität bedingungsgemäß nach dem Fußwert zu bemessen sei. Insoweit erkennt die Beklagte einen Invaliditätsgrad in Höhe des vollen Fußwertes an. Dem Gutachten Prof. Dr. H. sei nicht zu folgen, da dieses fälschlicherweise vom Bein- statt vom...