Entscheidungsstichwort (Thema)
Morbus Sudeck als Sekundärschaden eines ärztlichen Behandlungsfehlers
Leitsatz (amtlich)
Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen, gelten die Grundsätze über die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist.
Normenkette
ZPO §§ 263, 286 Abs. 1, §§ 287, 533 Nr. 1 Fall 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.06.2018; Aktenzeichen 2/14 O 114/11) |
Tenor
Unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils des Senats vom 29. Juni 2018 wird das am 13. Juni 2013 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 2.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Mai 2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges - verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen und künftigen immateriellen Schaden aus Behandlung und Therapie seiner rechten Hand bei dem Beklagten in der Zeit vom 19. Mai 2010 bis zum 9. Juni 2010 zu ersetzen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Senats vom 29. Juni 2018 aufrechterhalten.
Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug haben beide Parteien je zur Hälfte und die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug der Kläger zu 81 % und der Beklagte zu 19 % zu tragen; hiervon ausgenommen sind die Kosten, die durch die Säumnis des Klägers im Termin vom 29. Juni 2018 entstanden sind; diese fallen allein dem Kläger zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit einer orthopädischen Behandlung geltend.
Am 18. oder am 19. Mai 2010 (das genaue Datum ist streitig) stürzte der Kläger zu Hause und brach sich das rechte Handgelenk und die rechte Speiche.
Am 19. Mai 2010 suchte er die Praxis des Beklagten auf, wo nach erfolgter Untersuchung des Klägers folgender Befund erhoben wurde: "Schwellung und DS über distalem Radius, Beweglichkeit im Handgelenk schmerzbedingt eingeschränkt, Finger und FB frei beweglich, DMS distal intakt" (Arztbrief, BI. 5 d. A.). Die vom Beklagten vorgelegte Karteikarte weist folgende Therapie aus: "NSAR oral, Kühlung und Schonung, Anlage Unterarmgipsschiene für 6 Wochen, morgen zur Gipskontrolle". Ob dem Kläger auf diese Anordnung hin tatsächlich eine Unterarmgipsschiene oder ein Rundgips angelegt wurde, ist zwischen den Parteien streitig.
Bei der Gipskontrolle am Folgetag äußerte der Kläger gegenüber dem Beklagten, dass der Gips drücke und schmerze. Der Beklagte antwortete darauf, dass der Gips gut sitze und nur ungewohnt sei. Es wurde eine Gipskontrolle in acht Tagen angeordnet.
Der Kläger stellte sich sodann am 31. Mai 2010 wieder bei dem Beklagten vor. In diesem Termin wurden vom Beklagten Motorik und Sensibilität als regelgerecht angesehen; zudem wurde eine nach wie vor bestehende Bewegungseinschränkung festgestellt.
Am 9. Juni 2010 wurde in der Praxis des Beklagten der Gips abgenommen und eine neu gepolsterte Schiene für zwei Wochen angelegt.
Am 16. Juni 2010 wurde sodann die Schiene abgenommen, neu angepasst und gepolstert. Am 24. Juni 2010 wurde die Schiene schließlich abgenommen. Dem Kläger wurde eine Schiene mitgegeben, die er bei Beschwerden anlegen solle.
Danach stellte sich der Kläger nicht mehr in der Praxis des Beklagten vor.
Der Kläger hat behauptet, ihm sei ein Rundgips anstatt der medizinisch gebotenen Gipsschiene verordnet und angelegt worden. Dieser Rundgips sei zu eng gewesen und trotz erheblicher Beschwerden (Schwellungen, Verfärbungen), die er dem Beklagten auch telefonisch mitgeteilt habe, erst am 9. Juni 2010 durch eine Gipsschiene ersetzt worden. Auch diese sei zu eng gewesen. Der Rundgips habe bei ihm zu einem Morbus Sudeck (CRPS = Complex Regional Pain Syndrome) geführt. Daher könne er bis zum heutigen Tage den rechten Finger und das Handgelenk nicht schmerzfrei und uneingeschränkt bewegen. Wasserbildungen und Schwellungen seien bisher nicht zurückgegangen. Außerdem müsse er die Schiene nachts komplett und tagsüber teilweise anlegen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm den ihm aus der Behandlung und Therapie seiner Hand beim Arztbesuch vom 20. Mai 2010 entstandenen Schaden zu ersetzen; und
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermesse...