Entscheidungsstichwort (Thema)

Reiserücktrittskostenversicherung: Unzumutbarkeit der Durchführung der Reise

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Urteil vom 29.04.2009; Aktenzeichen 92 C 9701/08-13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29.4.2009 verkündete Urteil des AG Wiesbaden teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird über das gem. § 310 Abs. 3 ZPO am 19.12.2008 zugestellte Teilanerkenntnisurteil des AG Wiesbaden hinaus verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 1.253,60 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.7.2008 zu zahlen sowie die Klägerin von Kosten für die vorgerichtliche Inanspruchnahme ihres Anwalts i.H.v. insgesamt 229,55 EUR freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstands für den zweiten Rechtszug wird auf 1.253,60 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht mit der Klage Ansprüche aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung geltend.

Die Klägerin buchte für sich und ihren Lebensgefährten A als weiteren Reiseteilnehmer am 20.3.2008 eine Flugpauschalreise vom 17. Juni bis 8.7.2008 zum Gesamtreisepreis von EUR 2.802 zzgl. Kosten für einen "Komplettschutz Europa ohne Selbstbehalt" bei der Beklagten, die eine Reise-Rücktrittskosten-Versicherung einschloss. Die Klägerin zahlte den Reisepreis und die Versicherungsprämie. Die Vereinbarung der Klägerin mit dem Reiseveranstalter sah vor, dass bei einem Rücktritt bis 30 Tage vor Reisebeginn eine Rücktrittspauschale von 20 % des Reisepreises und bei einem Rücktritt ab dem 6. Tag vor Reisebeginn von 65 % anfiel (aufgerundet auf volle Euro). Am 14.4.2008 suchte Herr A seinen Hausarzt auf, der Arbeitsunfähigkeit wegen eines LWS-Syndroms links attestierte. Weitere Behandlungen fanden am 24. April, 9. Mai, 6. Juni, 12. Juni und 16.6.2008 statt. Am 13.6.2008 unterzog sich Herr A einer MRT-Untersuchung, auf Grund derer ein Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich festgestellt wurde. Herr A war jedenfalls zu diesem Zeitpunkt reiseunfähig, so dass die Klägerin am 16.6.2008 von der Reise zurücktrat. Der Reiseveranstalter berechnete daraufhin "Stornogebühren" i.H.v. 65 % des Reisepreises (insgesamt EUR 1.822) und zahlte den übrigen Reisepreis an die Klägerin zurück. Die Beklagte holte eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes ein, in der dieser auf die Frage: "Hätte der Patient zum Zeitpunkt dieses ersten Arztbesuchs (14.4.2008) reisen können?" das Kästchen mit der Antwort: "nein/nicht zumutbar" angekreuzt hatte (Bl. 39 d.A.). Mit Schreiben vom 20.6.2008 nahm die Beklagte den Standpunkt ein, dass bereits am 14.4.2008 erkennbar gewesen sei, dass die Reise nicht habe stattfinden können und sie bereits zu diesem Zeitpunkt hätte abgesagt werden müssen. Die Beklagte kündigte der Klägerin jedoch auf der Grundlage von 20 % Stornokosten, wie sie bei einem Rücktritt bis 30 Tage vor Reisebeginn angefallen wären, eine Leistung von EUR 448,32 an. Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Anwalt, der mit Schreiben vom 28. Juli und 19.8.2008 weitere Ansprüche geltend machte. Die Beklagte kam dem Verlangen nach Erbringung weiterer Leistungen nicht nach und wies auch die abgerechneten EUR 448,32 nicht zur Zahlung an. Dies holte sie nach Klageerhebung nach und erkannte einen weiteren Anspruch von EUR 112,80 nebst Zinsen an. Insoweit ist ein Teilanerkenntnisurteil zugunsten der Klägerin ergangen (Bl. 47 d.A.). Wegen der nach Klageerhebung gezahlten EUR 448,32 haben die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass eine unerwartete schwere Erkrankung der mitversicherten Person erst durch das MRT am 14.6.2008 festgestellt worden sei, nachdem am 9.6.2008 eine akute Verschlechterung ihres Zustands eingetreten sei. Vorher seit April 2008 habe lediglich eine leichte Erkrankung vorgelegen, die nicht zur Verminderung der Reisefähigkeit geführt habe. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten seien nicht wirksam vereinbart worden.

Die Beklagte hat sich demgegenüber darauf berufen, dass die Klägerin dadurch in grob fahrlässiger Weise gegen ihre versicherungsvertragliche Schadensminderungspflicht verstoßen habe, dass sie die Reise nicht unverzüglich nach Eintritt des versicherten Rücktrittsgrunds storniert habe. Der Reiseteilnehmer sei schon seit dem 14.4.2008 nicht reisefähig gewesen. Ihm sei nur deshalb nicht zu einem früheren Zeitpunkt von der Reise abgeraten worden, weil "eine Besserung noch erhofft" worden sei.

Das AG hat lediglich einen geringfügigen Betrag von EUR 67,70 vorgerichtlicher Anwaltskosten zugebilligt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin hätte die Reise unverzüglich nach Eintritt des versicherten Risikos stornieren müssen. Da sie dies nicht getan habe, habe sie die dadurch angefallenen höheren Stornierungskosten selbst zu tragen. Eine unerwartete schwere Erkrankung, die zur Stornierung habe führen müss...

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