Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährleistungsausschluss beim Gebrauchtwagenkauf
Leitsatz (amtlich)
Es gibt keinen allgemeingültigen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Geschäftsleute bei gebrauchtem Kraftfahrzeug stets einen umfassenden Haftungsausschluss vereinbaren.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 323, 326 Abs. 5, § 346 Abs. 1, §§ 348, 437 Nrn. 2-3; ZPO § 314
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 14.04.2022; Aktenzeichen 5 O 425/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. April 2022 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gießen unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 13.711,84 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 4. September 2021 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Ford, Typ Transit, mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren zu zahlen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.134,55 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen hat der Kläger 2,1 % und der Beklagte 97,9 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 1, 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. 1. Die zulässige Berufung des Klägers erzielt in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
a. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von EUR 13.711,84 aus den §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 326 Abs. 5, 323, 346 Abs. 1, 348 BGB Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des in Rede stehenden Fahrzeugs.
Der Kläger hat in dem Schreiben vom 19. August 2021 (Anlage K 3, Bl. 9 f. d. A.) den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt (§ 349 BGB), nachdem er zuvor dem Beklagten mit Schreiben vom 11. August 2021 eine angemessene (einwöchige) Frist zur Nacherfüllung gesetzt hatte.
Das in Rede stehende Fahrzeug wies mindestens einen Mangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB auf.
Ausweislich des unstreitigen Teils des Tatbestands des angegriffenen Urteils wies das Fahrzeug "unmittelbar nach Kauf und Übernahme durch den Kläger einen Mangel auf - die Warn-Kontrollleuchte des Motors leuchtete" (S. 2 des Urteils, Bl. 92 d. A.). Das Landgericht nahm dabei explizit Bezug auf das als Anlage K 4 vorgelegte Foto, das u. a. eine Warnmeldung mit dem Text "Motor überhitzt - Bitte anhalten" zeigt.
Der Tatbestand des Ersturteils liefert nach § 314 ZPO den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1995 - V ZR 179/94 -, WM 1996, 89, 90; Urteil vom 02.02.1999 - VI ZR 25/98 -, BGHZ 140, 335, 339; Versäumnisurteil vom 15.06.2000 - III ZR 305/98 -, WM 2000, 1548, 1549; Urteil vom 28.06.2005 - XI ZR 3/04 -, juris). Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2000 - VII ZR 216/99 -, WM 2000, 1871, 1872; Urteil vom 28.06.2005 - XI ZR 3/04 -, juris; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.05.2016 - 8 U 159/14 -, juris). Daher ist eine im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellte Tatsache selbst dann, wenn sie in den erstinstanzlichen Schriftsätzen tatsächlich umstritten war, als unstreitig und als für das Berufungsgericht bindend anzusehen, wenn der Tatbestand nicht berichtigt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24.06.2010 - III ZR 277/09 -, juris; Senat, Beschluss vom 26.11.2020 - 26 U 64/20 -, juris; Urteil vom 10.12.2020 - 26 U 29/19 -, juris; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.05.2016 - 8 U 159/14 -, juris; Urteil vom 05.10.2018 - 8 U 203/17 -, NJOZ 2019, 901, 903; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.05.2022 - 9 U 12/21 -, juris). So liegt es hier, so dass davon auszugehen ist, dass das Fahrzeug "unmittelbar nach Kauf und Übernahme durch den Kläger einen Mangel" aufwies.
Der Mangel - die Ursache des aufgetretenen Mangelsymptoms (Überhitzen des Motors) - lag auch bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vor. Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung erklärt, er sei am Tag nach der Übergabe des Fahrzeugs nach Stadt1 gefahren und bereits nach ca. 40 km sei die Fehlermeldung im Display des Fahrzeugs aufgetreten, die auf die Überhitzung des Motors hingewiesen habe (S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2022, Bl. 69 d. A.). Diesem Vorbringen ist der Beklagte nicht entgegengetreten, so dass es der erkennende Einzelrichter als unstreitig seiner Entscheidung zugrunde legen muss (§§ 525 Satz 1, 138 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen hat auch der Zeuge A entsprechende Bekundungen gemacht (s. S. 3 f. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 24. Mär...