Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Jugendamts als Amtspfleger
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung des Jugendamts als Amtspfleger bei unangemessener Fremdunterbringung eines Kindes
Normenkette
BGB §§ 839, 1666, 1833, 1915; SGB VIII §§ 55-56
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.11.2020; Aktenzeichen 2-04 O 448/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers zu 1 wird das das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.11.2020 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1 3.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 22.1.2020 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 1 allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger zu 1 aus der Inobhutnahme des Klägers zu 1 für die Zeit vom 11.1.2017 bis 15.4.2017 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger zu 1 von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Dres. A, B, C & Kollegen in Höhe von 973,65 EUR freizustellen.
Die weitergehende Berufung des Klägers zu 1 wird zurückgewiesen und seine weitergehende Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers zu 2 gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.11.2020 wird zurückgewiesen.
Von den gerichtlichen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1 46%, der Kläger zu 2 42% und die Beklagte 12% zu tragen.
Von den außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits haben zu tragen:
der Kläger zu 1 46% der Auslagen der Beklagten,
der Kläger zu 2 42% der Auslagen der Beklagten,
die Beklagte 20% der Auslagen des Klägers zu 1.
Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Auslagen selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Gegenseite vor Beginn ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils vollstreckten Betrags leistet.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld, Feststellung einer Freistellungs- und Schadensersatzpflicht und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten wegen einer Inobhutnahme des Klägers zu 1 in Anspruch.
Der am XX.XX.2010 geborene Kläger zu 1 ist der Sohn des Klägers zu 2. Die getrenntlebenden Eltern stritten um das Sorgerecht. Der Kläger zu 1 lebte bei seiner Mutter in Stadt1 und hatte regelmäßigen Umgang mit dem Kläger zu 2, der in Stadt2 wohnt. Der Kläger zu 2 teilte dem Jugendamt der Beklagten Ende November 2016 mit, dass der Kläger zu 1 ihm bei einem Wochenendbesuch mitgeteilt habe, dass seine Mutter ihn geschlagen habe. Am 28.11.2016 erhielt das Jugendamt ein diesbezügliches ärztliches Attest. In dem Sorgerechtsverfahren hatte der gerichtlich bestellte Sachverständige Q unter dem 15.11.2016 ein Gutachten erstellt (Bl. 155 ff. der Beiakte ... AG Stadt1, im Folgenden: BA I). Für den 30.11.2016 war bei dem Amtsgericht - Familiengericht Stadt1 ein Termin zur mündlichen Verhandlung über die Sorgerechtsanträge der Eltern des Klägers bestimmt. Mitarbeiter des Jugendamtes der Beklagten nahmen an diesem Tag vor der Verhandlung den Kläger zu 1 in Obhut, indem sie ihn von der Schule abholten. Er wurde in der Folgezeit in einem Kinderheim in Stadt3 untergebracht und besuchte dort auch die Schule.
Im Rahmen der Verhandlung am 30.11.2016 stimmten beide Eltern einer Inobhutnahme des Klägers zu 1 durch das Jugendamt der Beklagten zu, der Kläger zu 2 mit dem Vorbehalt, dass der Kläger zu 1 sich nicht längere Zeit in der Obhut aufhalten solle, und beantragten die Übertragung des Sorgerechts jeweils auf sich, notfalls Bestellung eines Ergänzungspflegers hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts (Protokoll der Sitzung des Familiengerichts vom 30.11.2016, Bl. 304 der Beiakte ... AG Stadt1, im Folgenden: BA I). Das Familiengericht beauftragte den Sachverständigen, mit dem Kläger zu 1 ein ergänzendes Gespräch zu führen und seine Begutachtung alsdann zu ergänzen. Am 10.12.2016 erstattete der Sachverständige seine ergänzende Stellungnahme (Bl. 307 BA I).
Mit Beschluss vom 1.12.2016 (Bl. 1 der Beiakte ..., im Folgenden: BA II) übertrug das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht bezüglich des Klägers zu 1 von seinen Eltern auf das Jugendamt der Beklagten. Die durch das Jugendamt bestimmte Pflegerin stimmte der weiteren Inobhutnahme zu.
Der Kläger zu 2 und die Mutter des Klägers zu 1 widerriefen ihre Einwilligung in die Inobhutnahme des Klägers zu 1 am 19.12.2016. Mit der einstweiligen Anordnung vom 20.12.2016 hat das Familiengericht den Beschluss vom 1.12.2016 nach gutachterlicher Anhörung und Einholung von Stellungnahmen aufrechterhalten und aufgrund einer angenommenen Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB erweitert (Bl. 145 ff. BA II).
Die Ehe des Klägers zu 2 mit der Mutter des Kläger...