Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Unterlassungsanspruch gegen Boulevardzeitung wegen Äußerung zu Spionage-Aktivitäten eines russischen Fernsehsenders
Normenkette
BGB §§ 823, 1004; GG Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.05.2021; Aktenzeichen 2-3 O 170/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Beschwerde der Verfügungsklägerinnen wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.5.2021 - 2/3 O 170/21 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Verfügungsbeklagten wird es im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an einem Mitglied ihres Vorstands, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
in Bezug auf die Verfügungsklägerin zu 1 zu behaupten und/oder zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen:
a. "Der im Unternehmen aufstrebende A versucht am nächsten Tag jedoch sein Glück. Vergebens. Sechsmal versucht A durch verschiedene Zugänge in das Gebäude zu gelangen, wird aber jedes Mal von Sicherheitsleuten und Polizisten abgewiesen.";
b. "Mit X in der geheimen Chat-Gruppe zu Y sind vier Russen. Zwei davon sind die Chefs von Russischer Sender und Russischer Sender. Ein weiterer ist ein ranghoher Mitarbeiter von Russischer Sender, der fünfte bleibt unerkannt.";
c. "Die fünfte Person im Chat bleibt anonym und sollte während der nächsten vier Wochen nicht einen Ton von sich geben.",
wenn dies geschieht wie am 9.3.2021 unter der URL www.(...).de (Anlage MK1).
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Eilverfahrens haben die Verfügungsklägerin zu 1 75 %, die Verfügungsklägerin zu 2 5 % und die Verfügungsbeklagte 20 % zu tragen; von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Verfügungsklägerin zu 1 79 %, die Verfügungsklägerin zu 2 5 % und die Verfügungsbeklagte 16 % zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 190.000,- festgesetzt; hiervon entfallen auf den Antrag zu 1 a EUR 25.000,-, den Antrag zu 1 b EUR 10.000,-, die Anträge zu 1 c bis e jeweils EUR 15.000,-, die Anträge zu 2 und 3 jeweils EUR 50.000,- und den Antrag zu 4 EUR 10.000,-.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin zu 1 (nachfolgend Klägerin zu 1) betreibt das deutschsprachige Programmangebot des Fernsehsenders "Russischer Sender", die Verfügungsklägerin zu 2 (nachfolgend Klägerin zu 2) ist u.a. Chief Transformation Officer der Klägerin zu 1. Sie machen gegen die Verfügungsbeklagte (nachfolgend Beklagte) im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens Ansprüche geltend im Zusammenhang mit dem von ihr am 9.3.2021 veröffentlichten Artikel mit der Überschrift "Kremlsender-Reporter gesteht in Zeitung1 Ich sollte Y ausspionieren!", der unter der URL www.(...).de online abrufbar ist.
Mit Datum vom 13.3.2021 und 8.9.2021 hat die Beklagte ihrem Artikel zwei Nachträge angefügt, wegen deren Inhalt auf GA 422 f verwiesen wird.
Mit Beschluss vom 25.5.2021 hat das Landgericht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Bezug auf eine Äußerung entsprochen und diesen im Übrigen zurückgewiesen.
Hiergegen richten sich die Klägerinnen mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - soweit dieser zurückgewiesen wurde - vollumfänglich weiterverfolgen. Sie rügen, dass sich entgegen der Annahme des Landgerichts die Äußerung lit. a als Tatsachenbehauptung darstelle. Der durchschnittliche Leser verstehe die Äußerung insbesondere aufgrund der konkret beschriebenen Tätigkeiten dahingehend, dass die Klägerin zu 1 Informationen auf deutschem Boden für den russischen Staat sammeln würde. Zahlreiche Behauptungen, die diesen "Spionage"-Vorwurf stützten, seien unwahr. Auch bei Qualifizierung als Meinungsäußerung sei die Äußerung unzulässig, da sie auf einer unwahren Tatsachengrundlage beruhe. Aufgrund des gegenüber der Klägerin zu 1 konkret erhobenen Vorwurfs der Beteiligung an "Spionage-Aktivitäten" seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung anwendbar. An dem Vorliegen einer Verdachtsberichterstattung ändere auch nichts der Umstand, wenn ein Werturteil gegeben sei. Jedenfalls überwöge bei einer Abwägung das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1 gegenüber der Pressefreiheit der Beklagten.
Zu der von dem Landgericht als Kern der Äußerung lit. b angenommenen Kündigungserklärung des Herrn X treffe diese keine Aussage. Ferner ergebe sich aus dem Verfassungsschutzbericht von 2019 nicht eindeutig, dass sich die zitierten Passagen auf die Klägerin zu 1 bezögen. Darüber hinaus werde bewusst verschwiegen, dass der Verfassungsschutzbericht in Bezug auf sie ausdrücklich von einer Mäßigung spreche.
Fehlerhaft habe das Landgericht die Äußerung lit. c als Meinungsäußerung gewertet. Wie viele Personen an einer Chat-Gruppe teilgenommen haben, sei ohne Weiteres durch eine Beweisaufna...