Leitsatz (amtlich)
1. Da Unterhalt grundsätzlich nur als Geldleistung (§ 1612 BGB) geschuldet wird, kann die Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Versagung persönlicher Pflege im Krankheitsfall gestützt werden.
2. Für eine böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht genügt nicht die bloße Leistungsverweigerung; diese muss vielmehr auf einer verwerflichen Gesinnung beruhen.
Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 24.02.2012) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.2.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Kassel wird zurückgewiesen.
Das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Kassel vom 24.2.2012 wird für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsrechtszug zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung aus dem angegriffenen Urteil sowie aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 % des gesamten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um etwaige Pflichtteilsansprüche der Klägerin.
Die 197 ... geborene Klägerin ist die Tochter des am ... 2010 verstorbenen Erblassers E und dessen rechtskräftig geschiedener Ehefrau. Die Beklagte ist die testamentarische Alleinerbin des Erblassers. Der Erblasser und dessen geschiedene Ehefrau haben neben der Klägerin ein weiteres gemeinsames Kind, den im Jahre 197 ... geborenen Bruder der Klägerin A. Weitere Abkömmlinge des Erblassers existieren nicht.
Der Erblasser war im Jahre 199 ... bei einem fremdverschuldeten Unfall schwer verletzt worden und seither pflegebedürftig. Ein in diesem Zusammenhang geführter Rechtsstreit gegen den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung endete im Jahr 2008 durch Klagerücknahme, nachdem die Versicherung aufgrund eines am ... 2008 außergerichtlich geschlossenen Vergleiches eine (Rest-)Zahlung i.H.v. 830.000 EUR geleistet hatte. Hiervon legte der Erblasser einen Betrag i.H.v. 553.911 EUR auf seinen Namen bei der B Bank GmbH an und erteilte der Beklagten insoweit Kontovollmacht. Außerdem kaufte er für 100.000 EUR ein Flugzeug und beglich verschiedene Verbindlichkeiten.
Die Beklagte hatte den Erblasser im ... 199 ... kennengelernt.
In der Folgezeit lebte die Beklagte, deren vorherige Beschäftigung als ... bei der ... zum Jahresende 1993 ausgelaufen war, mit dem Erblasser zusammen und übernahm die verletzungsbedingt zunehmend und zuletzt nahezu rund um die Uhr erforderliche Betreuung und Pflege des Erblassers bis zu dessen Tod. Der Erblasser leitete das an ihn ausbezahlte Pflegegeld i.H.v. durchschnittlich 650 EUR pro Monat an die Beklagte weiter.
Die Klägerin ersteigerte im Jahr 2004 im Rahmen einer Zwangsversteigerung ein Wohnhaus.
In diesem Zusammenhang schloss sie gemeinsam mit dem Erblasser zwei Darlehensverträge mit der C ab, da sie alleine die zur Finanzierung der Immobilie erforderlichen Darlehen nicht erhalten hätte, vereinbarte mit dem Erblasser jedoch, dass sie die gesamtschuldnerisch eingegangene Verpflichtung zur Darlehensrückzahlung im Innenverhältnis allein zu tragen habe.
Das handschriftliche Testament des Erblassers vom ... 2007 (Anlage K1, Bl. 84 Bd. I) lautet wie folgt:
"Mein ... 2007
Testament
hiermit vererbe ich E geb ... 50 in ..., einzig und allein alle Werte, Finanzen, Immaterielle und Materielle einzig und allein F geb ... in ... Sie soll absolut allein Erbin sein.
Da meine Exfrau ... sich nach dem Unfall, in 199 ..., strikt weigerte mir zu Helfen und/oder meine Pflege zu übernehmen.
Auch die 2 Kinder A geb ... 7 ... in ... und K geb ... 7 ... in ... sollen nichts erben, da die Beiden mir auch die Hilfe und Pflege verweigerten.
Alle haben nach BGB § 1611 jeglichen Unterhalt oder Erbschaft verwirkt. Allerdings müssen sich die Enterbten um verbliebene Schulden in vollem Umfang ausgleichen.
E. 2007"
Die Beklagte hat auf Verlangen der Klägerin den Wert des Nachlasses u.a. durch notarielles Verzeichnis des Notars N1, Stadt1, vom 10.12.2010 (Bl. 23 ff. Bd. I) wie folgt beziffert:
...
Im notariellen Nachlassverzeichnis ist darüber hinaus ein Betrag von 147 EUR Zinsen aufgeführt, so dass sich ein Aktivnachlass im Wert von 542.418,72 EUR ergibt.
...
Hinsichtlich der Passiva enthält das notarielle Nachlassverzeichnis folgenden Text:
"10. Frau F teilt mit, dass der Erblasser durch einen Verkehrsunfall im Jahre 199 ... schwer verletzt wurde. Er war in vollem Umfange pflegebedürftig. Die Pflege wurde fast ausschließlich nur von Frau F durchgeführt. Sie beansprucht Pflegekosten. Zum Beleg der Höhe der Kosten übergibt sie auszugsweise Fotokopie eines Schriftsatzes von 22.9.2007 in dem Rechtsstreit .../... u.a. (Az.:...). Ab Seite 19 des Schriftsatzes bis Seite 21 wurden die Pflegekosten dargestellt. Frau F versichert, dass sie diese Pflegekosten zu beanspruchen hat. Es ergibt sich ausweislich des in Kopie beigefügten ...