Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlehensvertrag: Voraussetzungen für die Verwirkung des Widerrufsrechts
Normenkette
BGB §§ 242, 355; BGB-InfoV § 14
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.02.2016; Aktenzeichen 2-10 O 135/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 15.02.2016 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main - Az. 2-10 O 135/15 - wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die von den Parteien unter den Kontonummern ... 1 und ... 2 geschlossenen Darlehensvertragsverhältnisse durch den Widerruf der Kläger in Rückabwicklungsverhältnisse umgewandelt wurden.
Es wird festgestellt, dass sich die Restschuld aus dem Rückgewährschuldverhältnis hinsichtlich der Rückabwicklung des Darlehensvertrages Nr ... 1 zum 31.12.2015 auf 269.479,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 3,8 % hieraus seit dem 19.02.2015 abzüglich am
28.02.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.03.2015 gezahlter 1.360,- EUR
30.04.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.05.2015 gezahlter 1.360,- EUR
30.06.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.07.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.08.2015 gezahlter 1.360,- EUR
30.09.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.10.2015 gezahlter 1.360,- EUR
30.11.2015 gezahlter 1.360,- EUR
31.12.2015 gezahlter 1.360,- EUR
beläuft.
Es wird festgestellt, dass sich die Restschuld aus dem Rückgewährschuldverhältnis hinsichtlich der Rückabwicklung des Darlehensvertrages Nr ... 2 zum 31.12.2015 auf 14.901,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 3,8 % hieraus seit dem 19.02.2015 abzüglich am
28.02.2015 gezahlter 135,- EUR
31.03.2015 gezahlter 135,- EUR
30.04.2015 gezahlter 135,- EUR
31.05.2015 gezahlter 135,- EUR
30.06.2015 gezahlter 135,- EUR
31.07.2015 gezahlter 135,- EUR
31.08.2015 gezahlter 135,- EUR
30.09.2015 gezahlter 135,- EUR
31.10.2015 gezahlter 135,- EUR
30.11.2015 gezahlter 135,- EUR
31.12.2015 gezahlter 135,- EUR
beläuft.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil und - im Umfang der Zurückweisung der Berufung - auch das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Schuldnerseite wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Gläubigerseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert der II. Instanz wird auf "bis 140.000 EUR" festgesetzt.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, der keiner Ergänzung bedarf.
Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Ausübung eines Widerrufsrechtes im Jahr 2015 stelle sich als verwirkt und rechtsmissbräuchlich dar.
Das für die Annahme von Verwirkung erforderliche Zeitmoment sei durch die Nichtgeltendmachung des Widerrufs über einen mehrjährigen Zeitraum erfüllt. Auch das erforderliche Umstandsmoment sei im vorliegenden Fall gegeben. Denn selbst dann, wenn die erteilte Widerrufsbelehrung aus dem Jahr 2010 als unzureichend zu bewerten wäre, sei der Inhalt der erteilten Belehrung jedenfalls geeignet, einen durchschnittlichen Verbraucher über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechtes und den Beginn der Widerrufsfrist aufzuklären. Deshalb dürfe die Beklagte jedenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre darauf vertrauen, dass ein Widerruf nicht mehr erfolgen werde.
Die Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist sei vorliegend jedoch nicht zu beanstanden. Indem die Belehrung den Fristbeginn von der Übergabe eines Exemplars der Widerrufsbelehrung sowie einer Vertragsurkunde, des schriftlichen Vertragsantrages des Darlehensnehmers bzw. einer Abschrift der bezeichneten Urkunden abhängig mache, übernehme sie wortlautgleich die Formulierung des zum damaligen Zeitpunkt gültigen Gesetzes (§ 355 Abs. 2 BGB a.F.).
Der Widerruf stelle sich zudem unter dem Blickwinkel des Sinnes und Zweckes des Widerrufsrechtes des Verbrauchers als rechtsmissbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition dar. Die Kläger hätten die Darlehen im Jahr 2010 zu den vereinbarten Konditionen in Anspruch genommen, um damit den Kauf eines selbstgenutzten Einfamilienhauses nebst "Ausbaus" zu finanzieren und nach Erwerb über mehrere Jahre vereinbarungsgemäß Zins und Tilgung geleistet. Erst im Jahr 2015 hätten sie sich auf ein vermeintlich fortbestehendes Widerrufsrecht berufen. Dieses Verhalten lasse sich alleine damit erklären, dass die Kläger eine für möglich erachtete Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung dazu nutzen wollen, die ursprünglich mit der Beklagten ausgehandelten Darlehenskonditionen infolge der Zinsentwicklung durch bessere Konditionen zu ersetzen. Eine derartige Motivation sei jedoch für die Ausübung des Widerrufsrechtes nach § 355 BGB a.F. vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Das Widerrufsrecht betreffend Verbraucherverträge solle vor vertraglichen Bindungen schützen, die möglicherweise übereilt und ohne gründliche Abwägung eingegange...