Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine grobe Fahrlässigkeit allein wegen (erheblicher) Geschwindigkeitsüberschreitung

 

Normenkette

VVG § 61

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/20 O 437/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 20. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main vom 8.1.2001 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47.500 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 23.3.1998 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen; die Klage wird i.Ü. abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte ist mit 47.500 DM beschwert.

Von der Darstellung des Streitstandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen.)

 

Gründe

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat – bis auf einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs – auch Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf bedingungsgemäße Entschädigung aus dem Unfallereignis vom 18.12.1997 gem. § 398 BGB i.V.m. §§ 1, 49 VVG, in weiterer Verbindung mit §§ 12, 13 AKB gegen die Beklagte zu. Die Klägerin kann als Rechtsnachfolgerin des Versicherungsnehmers der Beklagten Zahlung i.H.d. unstreitigen Wiederbeschaffungswertes des bei dem Unfall total beschädigten versicherten Fahrzeuges beanspruchen (§ 13 Nr. 1 AKB).

Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 404 BGB i.V.m. § 61 VVG ausgeschlossen, da von einer Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund eines unfallursächlichen grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers bei der Unfallverursachung nicht ausgegangen werden kann. Der Senat kann es offen lassen, ob der in § 61 VVG enthaltene Risikoausschluss schon deshalb nicht eingreift, weil nicht eine willensgetragene Handlung des Versicherungsnehmers bei dem schließlich zum Totalschaden des versicherten Fahrzeuges führenden Verkehrsvorgang vorgelegen hatte. Ob der Versicherungsnehmer zu diesem Zeitpunkt eine Bewusstseinsstörung oder eine Bewusstlosigkeit erlitten hatte, so dass keine für die Begründung des Risikoausschlusses gem. § 61 VVG erforderliche willensgetragene Handlung vorlag, kann auf sich beruhen, da auch dann, wenn das Vorliegen einer Handlung in natürlichem Sinne angenommen wird, der Befreiungstatbestand des § 61 VVG zugunsten der Beklagten nicht eingreift. Auch bei Zugrundelegung der Annahme einer willensgetragenen Handlung des Versicherungsnehmers unmittelbar vor dem Unfallereignis kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Ehemann der Klägerin den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Hiervon wäre auszugehen gewesen, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten objektiv in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen, das nicht beachtet hätte, was in der konkreten Situation jedem Autofahrer hätte einleuchten müssen (vgl. BGHZ 10, 16; BGH v. 18.10.1979 – III ZR 68/77, MDR 1980, 291 = NJW 1980, 888; NJW 1988, 1266; OLG Hamm v. 5.6.1996 – 20 U 288/95, VersR 1997, 961). Der Senat geht davon aus, dass eine objektive unfallursächliche grob fahrlässige Verhaltensweise nicht aufgrund der von dem Ehemann der Klägerin eingehaltenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an der Unfallstelle angenommen werden kann. Bei einer dem Ehemann der Klägerin jedenfalls anzulastenden Geschwindigkeit von 95 km/h hatte er zwar die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 90 % überschritten. Der Senat vermag sich auch nicht in der Auffassung der Klägerin anzuschließen, von einer objektiv grob fahrlässigen Verhaltensweise könne nur dann ausgegangen werden, wenn der Versicherungsnehmer eine Geschwindigkeitsüberschreitung von wenigstens 100 % erreicht habe. Der hierzu von der Klägerin angeführte Fall (OLG München zfs 1983, 150) stellt keine in der Rechtsprechung durchgehaltene Richtlinie dar, da die Rechtsprechung es stets vermieden hat, sich auf feste Prozentsätze hinsichtlich der Annahme einer groben Fahrlässigkeit bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festzulegen, sondern stets auf den Einzelfall abgestellt hat. Es leuchtet ein, dass eine etwaige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit je nach Ausbauzustand und sonstigen Verkehrsverhältnissen als grob fahrlässig zu bewerten ist, so dass das Abstellen auf die Geschwindigkeitsüberschreitung allein den Besonderheiten des einzelnen Falles nicht gerecht wird (vgl. auch OLG Köln r+s 1994, 443; OLG Koblenz v. 5.3.1999 – 10 U 155/98, OLGR Koblenz 2000, 58 = VersR 2000, 720; OLG Karlsruhe v. 17.2.1994 – 12 U 147/93, NZV 1994, 443). Die danach erforderliche Würdigung der Besonderheiten der Straßenführung vor dem Unfallort rechtfertigt die Beurteilung, dass eine objektiv grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls durch den Ehemann der Klägerin nicht vorlag. Da die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erst 93 Meter vor der Unfallstelle angeordnet war, verblieben dem Ehemann der Klägerin ca. 3,5 Sekunden zum Herabset...

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