Leitsatz (amtlich)

Verstöße gegen Vorschriften des Verständigungsgesetzes erzwingen ohne erwiesenen Einfluss auf die Willensbildung eines Angeklagten bei der Entscheidung über eine nach Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärte teilweise Berufungsrücknahme nicht die Annahme eines fingierten Kausalzusammenhangs zwischen dem Rechtsfehler einerseits und der Wirksamkeit der Prozesserklärung andererseits.

 

Normenkette

StPO § 243 Abs. 4 S. 2, § 273 Abs. 1a S. 2

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 13.12.2013)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2013 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

 

Gründe

Auf die Berufung des Angeklagten gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlichem Fahrens ohne Fahrerlaubnis hin hat das Landgericht ihn - nach teilweiser Rechtsmittelrücknahme - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und das weitergehende Rechtsmittel verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge und auf Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision. Diese hat bereits mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Der Schuldspruch ist auf Grund wirksamer Berufungsbeschränkung in Rechtskraft erwachsen und somit auch revisionsgerichtlicher Überprüfung entzogen. Die eingetretene Teilrechtskraft wird nicht - wie vom Beschwerdeführer erstmals in seiner Erklärung nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO geltend gemacht - durch die vorgetragene Verletzung der § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO und § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO durchgreifend in Zweifel gezogen. Die mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft (§ 303 StPO) erfolgte und vollständig durch die Sitzungsniederschrift bewiesene (§§ 274, 273 Abs. 3 StPO) Beschränkung der Berufung auf das "Strafmaß" war wirksam.

a) Die in der Teilrücknahme liegende nachträgliche Berufungsbeschränkung erweist sich als gestaltende Prozesshandlung, die unmittelbar die Rechtskraft herbeiführt und deren Wirksamkeit sich nach den hierfür geltenden allgemeinen rechtlichen Maßgaben bestimmt (vgl. nur Jesse in LR/StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 6). Als solche ist sie grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 55). Dies liegt ausnahmsweise nur bei täuschungs- oder unverschuldet irrtumsbedingten schwerwiegenden Willensmängeln anders (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 58; Beschluss vom 21. Januar 1997 - 1 StR 732/96, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 17; ferner Jesse, aaO., Rn. 52; Paul in KK-StPO, 7. Aufl., § 302 Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., Einl. Rn. 110, 116 und § 302 Rn. 23 ff. jeweils m.w.N.).

b) So liegt der vom Beschwerdeführer - in eine Verfahrensrüge gekleidet - vorgetragene Verfahrensgang ersichtlich nicht:

Am ersten Hauptverhandlungstag wurde die Sitzung nach Vernehmung des Angeklagten zur Person, einer Belehrung über sein Schweigerecht sowie nach Mitteilung des Vorsitzenden über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens und der Verlesung von amtsgerichtlichem Urteils und Auszug aus dem Bundeszentralregister auf Anregung des Verteidigers zum Zwecke eines "Rechtsgesprächs über die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache" unterbrochen. Sodann fand "im Beratungszimmer mit dem Gericht, einschließlich der Schöffen, der Staatsanwaltschaft" und dem Verteidiger ein Gespräch statt, wobei der Strafkammervorsitzende und die Verfahrensbeteiligten jeweils ihre Strafmaßvorstellungen für den Fall eines Geständnisses mitteilten. Darüber hinaus wurde die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung diskutiert. Nach 45 Minuten wurden diese Gespräche wegen "unterschiedlicher Strafmaßvorstellungen abgebrochen".

Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende mit, dass es "außerhalb der Hauptverhandlung den Versuch einer Verständigung gem. § 257c StPO" gegeben habe, die aber "nicht zustande gekommen sei". Nachdem der Verteidiger den Angeklagten "kurz über den ungefähren Verlauf" dieser Gespräche "informiert" hatte, "indem er ihm mitteilte, dass eine Verständigung durch die Staatsanwaltschaft abgelehnt worden sei", beschränkte der Angeklagte "nach Rücksprache mit seinem Verteidiger" und mit Zustimmung des Sitzungsvertreters seine Berufung auf das "Strafmaß".

c) Mit diesem Verfahrensgeschehen ist weder vorgetragen noch sonst naheliegend, dass der Beschwerdeführer durch den von ihm geltend gemachten Verfahrensgang getäuscht wurde. Ebenso wenig ist ersichtlich oder von der Revision vorgetragen, dass der Inhalt der vorgetragenen gerichtlichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO als amtliche Erklärung ursächlich geworden ist für seine Rücknahmeerklärung. Die allein abstrakte Möglichkeit ist aus Gründen der notwendigen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unzureichend. Denn über das Bestehe...

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