Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, hat das Gericht im Urteil die für erwiesen erachteten Tatsachen und deren Würdigung in einer Weise darzulegen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob zu Recht von einem nicht genügend entschuldigten Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausgegangen worden ist.
2. Zweifel des Berufungsgerichts an der Richtigkeit eines hinreichend konkret und schlüssig vorgetragenen Entschuldigungssachverhalts sind von Amts wegen durch freibeweisliche Ermittlungen aufzuklären.
3. Der Angeklagte ist zur Glaubhaftmachung vorgebrachter Entschuldigungsgründe nicht verpflichtet. Sein Ausbleiben ist nicht schon nicht deshalb nicht genügend entschuldigt, weil er - sei es auch entgegen gerichtlicher Aufforderung - keine Belege für sein Entschuldigungsvorbringen beigebracht hat.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 15.06.2015; Aktenzeichen 709 Ns 22/15) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 9, vom 15. Juni 2015 aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten mit Entscheidung vom 19. Februar 2015 wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 19. Dezember 2012 unter gleichzeitiger Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr fünf Monaten sowie wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr fünf Monaten verurteilt.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 15. Juni 2015 ohne Sachentscheidung verworfen, nachdem der Angeklagte im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war.
Gegen die Berufungsverwerfung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, auf deren kostenpflichtige Verwerfung die Generalstaatsanwaltschaft angetragen hat.
II.
Die zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten hat mit der auf die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO (a. F.) gestützten Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Rüge, das Gericht habe durch rechtsfehlerhafte Annahme nicht genügender Entschuldigung des Ausbleibens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung die Verfahrensvorschrift des § 329 Abs. 1 StPO (a. F.) verletzt, ist in zulässiger Weise erhoben.
Wird ein die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO (a. F.) verwerfendes Urteil mit der Verfahrensrüge dahingehend angegriffen, das Gericht habe zu Unrecht aufgrund der im Urteil getroffenen Feststellungen das Ausbleiben des Angeklagten nicht als genügend entschuldigt angesehen, so ist die Rüge regelmäßig bereits ohne ins Einzelne gehenden Tatsachenvortrag als sog. "unsubstantiierte Verfahrensrüge" zulässig erhoben, da es einer Wiederholungen der im Urteil enthaltenen Ausführungen in der Revisionsbegründung nicht bedarf, und die so erhobene Rüge lediglich zur Überprüfung des Urteils auf Grundlage der darin enthaltenen Feststellungen führt, an die das Revisionsgericht insoweit gebunden ist (vgl. HK-StPO-Rautenberg (5. Aufl.) § 329 Rn. 50 m. w. Nachw.; SK-StPO-Frisch (4. Aufl.) § 329 Rn. 70; LR-Gössel (26. Aufl.) § 329 Rn. 99).
So liegt der Fall auch hier, nachdem die Revision ausdrücklich die Verletzung des "§ 329 StPO" rügt und dazu näher ausführt, das Landgericht habe die über seine Verteidigerin vorgetragene Mitteilung des Angeklagten, aufgrund Schwindels und starker Bauchschmerzen nicht zur Hauptverhandlung erscheinen zu können, zu Unrecht als "bloße Behauptung" gewertet und rechtsfehlerhaft ohne weitere Sachaufklärung die Berufung schon deshalb verworfen, weil der Angeklagte kein Attest für seine Erkrankung vorgelegt habe.
2. Der Rüge bleibt auch in der Sache der Erfolg nicht versagt. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung keine ausreichenden, die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO (a. F.) tragenden Feststellungen getroffen.
a) Auf die vorgenannte Verfahrensrüge ist das Urteil insbesondere daraufhin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen einer Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO (a. F.) ausreichend dargelegt sind und die Vorschrift auf die festgestellten Tatsachen ohne Rechtsfehler angewandt worden ist.
aa) Im Verwerfungsurteil hat das Gericht die für erwiesen erachteten Tatsachen und deren Würdigung in einer Weise darzulegen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob zu Recht von einem nicht genügend entschuldigten Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausgegangen worden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 22. Dezember 2011, Az.: 2 - 50/11 (REV) m. w. Nachw.).
Im Urteil sind daher vorgetragene oder auf andere Weise dem Gericht bekannt gewordene Entschuldigungsgründe sowie vorgelegte Bescheinigungen, in der Hauptverha...