Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Ein Beiordnungsantrag des Wahlverteidigers ist bereits unzulässig, wenn er diesen für sich selbst, nicht hingegen namens und in Vollmacht des Verurteilten gestellt hat, da einem Rechtsanwalt kein eigenes Recht auf Antragstellung zwecks eigener Beiordnung zusteht.
Soweit es im Strafvollstreckungsverfahren an ausdrücklichen Vorschriften zur Verteidigerbestellung fehlt, finden die §§ 140 Abs. 2, 141, 143 StPO nur in den Fällen entsprechende Anwendung, wenn wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles, wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder wegen Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, die Mitwirkung eines Verteidigers ausnahmsweise geboten ist.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 10.05.2021; Aktenzeichen 605 StVK 78/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 5 als Strafvollstreckungskammer, vom 10. Mai 2021 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Juli 2020 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Zudem hat das Amtsgericht seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das Urteil ist seit dem 30. Juli 2020 rechtskräftig.
Der Beschwerdeführer befand sich in vorgenannter Sache vom 8. März 2020 bis zum 29. Juli 2020 in Untersuchungshaft und ab dem 30. Juli 2020 bis einschließlich 10. Februar 2021 in Organisationshaft. Seit dem 11. Februar 2021 befindet er sich im Vollzug der Maßregel in der Asklepios Klinik Ochsenzoll.
Die Staatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 22. Februar 2021, eingehend beim Landgericht Hamburg am 23. Februar 2021, beantragt, die Vollziehung der Strafe vor der Maßregel zu bestimmen.
Mit Beschluss vom 10. Mai 2021 hat die Große Strafkammer 5 als Strafvollstreckungskammer nachträglich den Vorwegvollzug der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Juli 2020 angeordnet.
Gegen diesen dem beigeordneten Verteidiger am 17. Mai 2021 zugestellten Beschluss hat dieser mit einem am selben Tag beim Landgericht Hamburg eingehenden Schreiben für den Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.
II.
Die nach §§ 463 Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde gegen die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der angefochtene Beschluss ist ohne einen die Aufhebung der Entscheidung begründenden Verfahrensfehler ergangen.
a) Die nach §§ 462a Abs. 1 Satz 1, 463 Abs. 1 StPO zuständige Strafvollstreckungskammer hat die Entscheidung in der gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG gebotenen Besetzung durch den Einzelrichter getroffen.
b) Die nach §§ 463 Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Anhörungen des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft sind erfolgt; der Verteidiger des Verurteilten hat für diesen Stellung genommen. Einer mündlichen Anhörung bedurfte es nicht (vgl. etwa HansOLG, Beschluss vom 10. März 2020, Az.: 6 Ws 72/19; Meyer-Goßner/Schmitt, § 462 Rn. 3).
2. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge ist auch materiell rechtsfehlerfrei ergangen. Zu Recht hat das Landgericht gemäß §§ 67 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 4 StGB nachträglich bestimmt, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist.
a) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 4 StGB soll das Gericht bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird. Eine solche Anordnung kann das Gericht gemäß § 67 Abs. 3 Satz 2 auch nachträglich treffen.
b) Diese Voraussetzungen der nachträglichen Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge liegen hier vor.
aa) Der Verurteilte ist polnischer Staatsangehöriger und vollziehbar ausreisepflichtig.
EU-Bürger besitzen nach § 11 FreizügG/EU einen Sonderstatus; sie sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erst dann vollziehbar ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (MüKoStGB/Maier § 67 Rn. 98).
Mit Verfügung vom 20. Juli 2018 hat das Einwohner-Zentralamt den Verlust des Rechts des Verurteilten auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik festgestellt, was als Freizügigkeitsverlust nach §§ 6, 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik für die Dauer von 5 Jahren ab nachgewiesener Ausreise zur Folge hat. Der Bescheid vom 20. Juli 2018, in welchem dem Beschwerdeführer zugleich die Abschiebung angedroht und mitgeteilt worden ist, dass diese im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der...