Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorbefassung
Leitsatz (amtlich)
Ein Richter, der nicht an dem angefochtenen Widerspruchsurteil, sondern lediglich an der vorangegangenen Beschlussverfügung mitgewirkt hat, ist selbst dann nicht gem. § 41 Nr. 6 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts im Berufungsrechtszug ausgeschlossen, wenn das angefochtene Urteil auf die zugrundeliegende einstweilige Verfügung Bezug nimmt.
Normenkette
ZPO § 41 Nr. 6, § 48
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Vorsitzende Richter am OLG Gä. bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist.
Gründe
1. Der Vorsitzende Richter am OLG Gä. hat mit Dienstlicher Äußerung vom 28.9.2001 angezeigt, dass er in dem vorliegenden Rechtsstreit als Vorsitzender der Zivilkammer 15 des LG Hamburg bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung vom 13.12.1999 mitgewirkt hat, die sodann mit Urteil der Zivilkammer 12 des LG Hamburg am 10.4.2001 – ohne Mitwirkung von VRiOLG Gä. – bestätigt worden ist.
Die Parteien hatten Gelegenheit zu der Dienstlichen Äußerung von VRiOLG Gä. Stellung zu nehmen.
2. Aufgrund des angezeigten Sachverhalts ist VRiOLG Gä. nicht kraft Gesetzes, insbesondere nicht in entsprechender Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts in dem zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit ausgeschlossen.
a) Im Hinblick auf die Dienstliche Äußerung von VRiOLG Gä. hat der Senat über die Frage des Ausschlusses durch Beschluss zu entscheiden, denn aufgrund der angezeigten Umstände und der insoweit unterschiedlichen Beurteilung in der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehen zumindest i.S.v. § 48 ZPO „aus anderer Veranlassung Zweifel” darüber, ob ein Ausschlussgrund kraft Gesetzes vorliegt.
b) Ein Ausschlusstatbestand besteht jedoch weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO. Andere Ausschließungsgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich.
aa) Eine unmittelbare Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil VRiOLG Gä. nicht „in einem früheren Rechtszug” an der „angefochtenen Entscheidung” mitgewirkt hat. Hiermit ist nach dem Wortlaut der Vorschrift für den vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich das instanzabschließende Urteil der Zivilkammer 12 vom 10.4.2001 gemeint, an dem VRiOLG Gä. nicht beteiligt war.
bb) Eine über den Wortlaut hinausgehende entsprechende Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO auf solche Fälle, in denen der in zweiter Instanz mit dem Rechtsstreit befasste Richter zwar nicht an der unmittelbar angefochtenen, aber einer dieser vorangegangenen Entscheidung mitgewirkt hat, kommt nach Auffassung des Senats entgegen der wohl überwiegenden Meinung in der Rechtsliteratur nicht in Betracht.
(1) In diesem Sinne hatte allerdings bereits im Jahr 1968 das OLG München (NJW 1969, 754) entschieden und dabei der Bestimmung des § 41 Nr. 6 ZPO den Willen des Gesetzgebers entnommen, einen Richter in späteren Rechtszügen stets dann von der Ausübung des Richteramtes fernzuhalten, wenn er in einer anderen Instanz über die Rechtmäßigkeit der früheren Entscheidung zu befinden hätte. Dies hat das OLG München für eine der vorliegenden Situation vergleichbare Sachlage mit der Begründung bejaht, materiell gehe es um die Frage, ob das Widerspruchsgericht die einstweilige Verfügung zu Recht bestätigt bzw. aufgehoben habe. Dieser Auffassung haben sich im Ergebnis – allerdings weitgehend ohne Begründung – die Mehrzahl der Kommentatoren der Zivilprozessordnung angeschlossen (z.B. Zöller/Vollkommer, 22. Aufl., § 41 Rz. 13; Thomas-Putzo, 23. Aufl., § 41 Rz. 7, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 59. Aufl., § 41 Rz. 15; Stein-Jonas, 21. Aufl., § 41 Rz. 18).
(2) Demgegenüber hat das OLG Rostock in einer neueren Entscheidung (OLG Rostock NJW-RR 1999, 1444 [1445]) die Auffassung vertreten, eine erweiternde Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf Fälle der vorliegenden Art komme nicht in Betracht. Dieser überzeugenden und ausführlich begründeten Entscheidung schließt sich der Senat an (ebenso: Feiber in MünchKomm, ZPO, § 41 Rz. 26; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Rz. CIIf2). Das OLG Rostock hat sich in seinen Ausführungen mit allen wesentlich rechtlichen Argumenten auseinandergesetzt und diese in zutreffender Weise gewürdigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diesen Beschluss des OLG Rostock vom 2.9.1998 inhaltlich Bezug. Das OLG Rostock hat zutreffend festgestellt, dass insbesondere dem Wortlaut der Vorschrift ein weitergehender Wille des Gesetzgebers nicht zu entnehmen ist, da die Norm ausdrücklich und unmissverständlich nur die – hier nicht einschlägige – Situation „bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung”, nicht aber diejenige „bei einer die Sache betreffenden Entscheidung” regelt. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber trotz des seit der Entscheidung des OLG München nunmehr verstrichenen Zeitraums von über 30 Jahren und mehrfacher ZPO-Novellen keine Veranlassung zu einer Erweiterung des Wortlauts gesehen hat, erscheint es dem Senat...