Normenkette

FamFG §§ 155, § 155 ff; BGB § 1671

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-Altona (Aktenzeichen 355a F 13/13)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die bisherige Verfahrensbehandlung nicht ausreichend dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG entspricht.

2. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Kindesmutter wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Rechtsanwalt von B., Hamburg, wird beigeordnet.

 

Gründe

1. Die gemäß § 155c I FamFG zulässige Beschleunigungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

a. Das Beschwerdegericht hat lediglich festzustellen, ob die bisherige Dauer des Verfahrens dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG entspricht die Begründetheit der Beschwerde setzt daher nicht voraus, dass gerade zur Zeit der Beschleunigungsrüge (noch) konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung zu ergreifen waren. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senates aus dem Wortlaut der §§ 155b, 155c FamFG, die sich mit der bisherigen Verfahrensdauer befassen. Dementsprechend heißt es auch im Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Bezug auf § 155c FamFG (BT-Drucksache 18/9092; Hervorhebungen durch den Senat): "Das Beschwerdegericht wird (...) darüber zu entscheiden haben, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat." Eine Beschleunigungsrüge ist daher nicht etwa deshalb unbegründet, weil im Moment der Rüge gerade keine weiteren Maßnahmen zur vorrangigen und beschleunigten Durchführung zu treffen sind, z.B. weil das Ausgangsgericht auf die Rüge bereits Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung ergriffen hat (vgl. Keuter FamRZ 2016, 1817, 1820).

b. Nach dem Ablauf des Verfahrens entspricht die bisherige Verfahrensbehandlung nicht in jeder Hinsicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG. Dieses Gebot legt im Hinblick auf die besondere Bedeutung einer alsbaldigen Regelung der persönlichen Verhältnisse des Kindes in Bezug auf die Bindungen an seine Elternteil fest, dass unabhängig von der tatsächlichen Belastung eines Familienrichters die Kindschaftssachen stets vorrangig, gegebenenfalls unter Zurückstellung anderer wichtiger Verfahren, zu bearbeiten, in Bezug auf das Beschleunigungsgebot alsbald zu betreiben und insbesondere durch die Bestimmung eines Anhörungstermins zu einer alsbaldigen gerichtlichen Entscheidung zu bringen sind (Borth / Grandel in Musielak / Borth, FamFG, 5. Aufl., § 155 Rz.1). Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot steht dabei unter dem Grundsatz der Wahrung des Kindeswohls im Sinne des § 1671 I, II BGB. Generell gilt aber, dass das Vorrang- und Beschleunigungsgebot im Zweifelsfall Vorrang vor anderen Erwägungen hat (Borth / Grandel in Musielak / Borth, FamFG, 5. Aufl., § 155 Rz.3).

aa. Allerdings ist eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt wurde, nicht möglich. Ein Maßstab für diese Frage ist die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt. Beschleunigung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, dass die Entscheidung in der Sache nicht durch bloßen Zeitablauf faktisch präjudiziert wird. Diese Gefahr besteht, weil sich während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse - einschließlich der Kontaktabbruch - verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann. Das Beschwerdegericht hat unter Zugrundelegung dieser Faktoren darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat. Dabei ist nicht von dem Maßstab eines idealen Richters auszugehen, sondern es ist anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver Maßstab anzulegen. (zu allem s. die bereits genannte BT-Drucksache 18/9092).

bb. Hier hat das Ausgangsgericht im angegriffenen Beschluss selbst konstatiert, dass die Dauer des Verfahrens das Maß des Wünschenswerten bei weitem übersteigt. Dem ist beizupflichten: Mit Beschluss vom 4.3.2015 war die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet worden. Bereits im Juli und August 2015 kam es zu erfolglosen Versuchen telefonischer Kontaktaufnahme mit Rückrufbitten bei der Sachverständigen K.. Unter dem 1.2.2016 teilte die Sachverständige mit, dass die Begutachtung "wei...

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