Orientierungssatz

Orientierungssätze:

Die Herausnahme der Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB ist aus dem Rechtsmittelangriff grundsätzlich möglich und unterliegt - wie auch im Übrigen bei Rechtsmittelbeschränkungen - den allgemeinen Voraussetzungen der Trennbarkeit und Widerspruchsfreiheit.

Trennbarkeit ist gegeben, wenn die verbleibenden Beschwerdepunkte sich auf Entscheidungsteile beziehen, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen.

Im Hinblick auf das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit ist zu gewährleisten, dass die im Falle nach einer Teilanfechtung stufenweise entstehende aus zwei Erkenntnissen zusammengefügte Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 26.11.2020; Aktenzeichen 714 Ns 36/20)

 

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 14, vom 26. November 2020 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat den Angeklagten am 28. Februar 2020 wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 1053,90 Euro angeordnet.

Am 3. März 2020 hat die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und diese zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch, in der Berufungshauptverhandlung sodann auf das Strafmaß beschränkt. Das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 14, hat mit Urteil vom 26. November 2020 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt hat. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Gegen dieses Urteil hat der beigeordnete Verteidiger am 30. November 2020 Revision eingelegt, die Verletzung materiellen Rechts gerügt und die Aufhebung des Urteils beantragt. Nach am 30. November 2020 erfolgter Fertigstellung des Protokolls sind die schriftlichen Urteilsgründe aufgrund richterlicher Anordnung dem Verteidiger am 17. Dezember 2020 zugestellt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit beim Senat am 23. Februar 2021 eingegangener Stellungnahme angetragen, die Revision zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen gemäß §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen, obwohl die Staatsanwaltschaft die Nichtanordnung der Unterbringung wirksam aus ihrer Berufung ausgenommen hat. Im Übrigen deckt die Revision keinen Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten auf und war daher gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

1. Zu Recht hat das Landgericht keine Feststellungen zur Sache sowie keine eigene Entscheidung über den Schuldspruch getroffen. Die in der Berufungshauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung "auf das Strafmaß" war formell und materiell wirksam, insbesondere tragen die amtsgerichtlichen Feststellungen zur Sache den ergangenen Schuldspruch.

2. Mit der Beschränkung "auf das Strafmaß" war es dem Landgericht aber verwehrt, über die Strafzumessung hinausgehend erstmalig eine Unterbringungsentscheidung zu treffen.

a) Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung hat der Rechtsmittelführer bei der Entscheidung, ob und wieweit er ein Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Dies gebietet, dem in der Rechtsmittelerklärung zum Ausdruck kommenden Willen im Rahmen des rechtlich Möglichen Rechnung zu tragen (vgl. BGHSt 24, 185; 29, 359).

Wegen der sich aus der Zweispurigkeit des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems ergebenden prinzipiellen Unabhängigkeit von Strafe und Maßregel ist die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den das Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (vgl. BGH NJW 1963, 1414; BGHSt 24, 132). Daher ist die Herausnahme der Nichtanordnung aus dem Rechtsmittelangriff grundsätzlich möglich (vgl. BGHSt 38, 362, Urteil vom 7. Oktober 1992, Az.: 2 StR 374/92).

Diese Beschränkung unterliegt - wie auch im Übrigen bei Rechtsmittelbeschränkungen - den allgemeinen Voraussetzungen der Trennbarkeit und Widerspruchsfreiheit.

Trennbarkeit ist gegeben, wenn die verbleibenden Beschwerdepunkte sich auf Entscheidungsteile beziehen, die nach...

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