Leitsatz (amtlich)

1. Gegenstand der vorbehaltenen Entscheidung nach § 61a Abs. 1 JGG ist in erster Linie das während der Aufschubzeit erbrachte Verhalten des Verurteilten in Bezug auf die im Urteilszeitpunkt konkret festgestellten positiven Ansätze in seiner Lebensführung; sie dient nicht als "letzte Chance".

2. Erst wenn sich die Ansätze bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorbehaltenen Entscheidung als nachhaltig, verfestigt oder zumindest in bestimmender Weise als weiterentwickelt erwiesen haben, ist abermals eine umfassende Abwägung sämtlicher bestimmender prognoserelevanter Umstände vorzunehmen.

3. Die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung erkannten Ansätze sind in den Urteilsgründen in sachlich-rechtlich nachprüfbarer Weise darzustellen und geben dieserart den notwendigen Entscheidungskorridor und die maßgebliche Entscheidungsgrundlage für das nachträgliche Beschlussverfahren vor.

 

Normenkette

JGG § 61 Abs. 1, §§ 61a, 61b Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 21.07.2014)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 21. Juli 2014 wird auf seine Kosten verworfen.

 

Gründe

I.

Der vielfach wegen Eigentumsdelikten jugendstrafrechtlich sanktionierte, betäubungsmittelabhängige und bei den Strafverfolgungsbehörden als PROTÄKT-Täter geführte heute neunzehn Jahre alte Verurteilte wurde - unter Einbeziehung zweier früherer Verurteilungen - am 22. Januar 2014 durch das Landgericht wegen "versuchten Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung" sowie wegen Diebstahls in 13 Fällen - teilweise idealkonkurrierend mit gefährlicher bzw. vorsätzlicher Körperverletzung - zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Entscheidung über eine Aussetzung dieser Jugendstrafe zur Bewährung blieb einem gesonderten - "binnen sechs Monaten nach Rechtskraft" des Urteils zu erlassenden - Beschluss vorbehalten. Die Strafaussetzung kam nach den Urteilsgründen "noch nicht in Betracht". Vielmehr habe der Angeklagte "in der sechsmonatigen Vorbewährungszeit" zu "zeigen", dass er in der von ihm selbst gewählten Therapieeinrichtung "Life Challenge Fehmarn" die "ihm gewährte Chance nutzen kann und will" (UA S. 30). Durch Beschluss vom selben Tage erteilte das Landgericht dem Verurteilten die Weisung, mit einem Bewährungshelfer zusammenzuarbeiten, dessen Sprechstunden zu besuchen sowie - mit seinem erklärten Einverständnis - sich zum Zwecke einer stationären Therapie in die Einrichtung "Life Challenge Fehmarn" zu begeben und sich an die dort geltenden Therapiebedingungen ebenso wie an die Anweisungen des therapeutischen Personals zu halten. Das Urteil ist seit dem 27. Januar 2014 rechtskräftig.

Bereits in den ersten Wochen seines stationären Aufenthalts "organisierte" sich der Verurteilte von einem anderen Patienten Marihuana zum Eigenkonsum. Im Rahmen eines etwas später gewährten Wochenendausgangs wurde er in den frühen Morgenstunden des 27. April 2014 in Hamburg alkoholisiert polizeilich aufgegriffen (Atemalkoholkonzentration 1,69 Promille). Später bat er einen anderen Patienten, von dessen Familienheimfahrt Amphetamine mitzubringen. Anschließend wurde der weitere stationäre Aufenthalt des Verurteilten durch die Einrichtung als "nicht mehr tragbar" angesehen (Bl. 40 Vor-Bew-Heft) und der Verurteilte für eine Woche aus der Einrichtung beurlaubt. Trotz Rückkehrmöglichkeit blieb er in der Folgezeit der Einrichtung fern und unterhielt auch fortan keinen Kontakt zur Jugendbewährungshilfe.

Durch den in der Entscheidungsformel bezeichneten Beschluss ordnete die Jugendkammer - auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach mündlicher Anhörung des Verurteilten - die Vollstreckbarkeit der verhängten Jugendstrafe an. Hiergegen hat der Verurteilte sofortige Beschwerde erhoben.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 59 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 2 JGG, § 311 Abs. 2, § 306 Abs. 1 StPO). In der Sache bleibt ihr indes der Erfolg versagt.

1. Die angefochtene Entscheidung ist in formell rechtsfehlerfreier Weise ergangen. Sie beruht auf einer - in der Urteilsformel ausgewiesenen (§ 61 Abs. 3 i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG) - rechtskräftigen tatgerichtlichen Anordnung einer vorbehaltenen Entscheidung über die Strafaussetzung (§ 61 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG). Die Jugendkammer war für die - hier innerhalb der Frist des § 61a Abs. 1 Satz 1 JGG i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG getroffene - nachträgliche Entscheidung sachlich zuständig (§ 61a Abs. 2 i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG). Sie hat diese zutreffend nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers erlassen (§ 57 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG; vgl. hierzu HansOLG Hamburg, Beschluss v. 25. Februar 2013 - 2 Ws 19/13, VRS 124, 355, 357).

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Strafaussetzung nach § 21 Abs. 2 JGG i.V.m. § 109 Abs. 2 JGG liegen auch nach Ablauf der "Aufschubzeit" (zur Begrifflichkeit vgl. BT-Drucks. 17/9389, S. 9, 10) nicht vor.

a) Die nach § ...

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