Leitsatz (amtlich)
Überträgt ein Präsidium einem Vorsitzenden eines Spruchkörpers zusätzliche Aufgaben - insbesondere den Vorsitz in einem weiteren Spruchkörper -, die er in Folge ohnehin schon bestehender starker Inanspruchnahme voraussehbar nicht erledigen kann, so liegt in Bezug auf die zusätzlichen Aufgaben ein Fall der Verhinderung gemäß § 21f Abs. 2 GVG nicht vor.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichtes Hamburg vom .... aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an die(selbe) Kleine Strafkammer zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Revision hat mit ihrer formellen Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO Erfolg.
Soweit diese Rüge mit einer fehlerhaften Anwendung des § 21f Abs. 2 GVG begründet wird, genügt sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Die diesbezüglich relevanten Tatsachen sind - soweit nicht ohnehin offenkundig - vorgetragen. Anders als die Generalstaatsanwaltschaft ist der Senat der Auffassung, dass die gedankliche Verknüpfung der vorgetragenen - und auch belegten - Tatsachen es ermöglicht, das Vorbringen aus sich heraus zu verstehen und zu bewerten (zum Umfang der Darlegungspflichten bei der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO s. auch BGH StV 02, 475 m.w.N.).
Danach ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 19.6.01 durch den Angeklagten ging die Verfahrensakte am 17.8.01 beim Landgericht ein und gelangte entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichtes Hamburg an die Kleine Strafkammer .... Vorsitzender dieser Kleinen Strafkammer war VRiLG T., 1. stellv. Vorsitzender RiAG R., 2.stellv. Vorsitzende RiinLG We. und 3. stellv. Vorsitzende RiinLG Wo.. VRiLG T. war zeitgleich Vorsitzender der Großen Strafkammer ..., RiAG R. und RiinLG We. waren die ordentlichen Beisitzer dieser Großen Strafkammer. Nachdem RiinLG We. bereits am 10.9.01 in dem Berufungsverfahren tätig geworden war, indem sie die Akte der Staatsanwaltschaft mit der Frage zuschrieb, ob ein Antrag auf Anordnung eines dinglichen Arrestes aufrechterhalten werde, stimmte sie am 8.1.02 mit dem Verteidiger des Angeklagten einen Verhandlungstermin für den 29.1.02 ab.
Dementsprechend terminierte RiinLG We. am 9.1.02 auf den 29.1.02 und lud die Verfahrensbeteiligten. Noch am 9.1.02 teilte VRiLG T. dem Vizepräsidenten des Landgerichtes mit, durch seine Tätigkeit als Vorsitzender der Großen Strafkammer .., nämlich wegen der Vorbereitung zweier umfangreicher Hauptverhandlungen, sei er daran gehindert, den Vorsitz in der Berufungsverhandlung am 29.1.02 zu führen. RiAG R. sei durch seine Tätigkeit als 1. stellv. Vorsitzender der Großen Strafkammer .. und auch der Kleinen Strafkammer .. ebenfalls verhindert, da er als 1. stellv. Vorsitzender der Großen Strafkammer .. den Vorsitz in der seit dem 19.11.01 laufenden Hauptverhandlung Aktenzeichen... führe und als 1. stellv. Vorsitzender der Kleinen Strafkammer 29 am 22.1. und 29.1.02 den Vorsitz in der Berufungssache Aktenzeichen .... führen werde. Mit Verfügung vom 11.1.02 stellte der Vizepräsident des Landgerichtes fest, der Verhinderungsfall sei gegeben.
Daraufhin wurde am 29.1.02 die Berufungsverhandlung gegen den Angeklagten unter Vorsitz von RiinLg We. durchgeführt. Die Berufung wurde im Wesentlichen verworfen.
Ein Fall der Verhinderung i.S.d. eng auszulegenden (vgl. HansOLG, NStZ 84, 570) Vorschrift des § 21f Abs. 2 GVG lag nicht vor, da VRiLG T. nicht nur vorübergehend außerstande war, die ihm nach dem Geschäftsverteilungsplan obliegenden konkreten Aufgaben des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 29 wahrzunehmen (zur Definition der Verhinderung vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., Rn 4 zu § 21f GVG m.w.N.).
Zwar darf sich eine Verhinderung auch "über einen gewissen Zeitraum erstrecken", dieser Zeitraum muss jedoch übersehbar sein und diese Verhinderung muss in der Regel ihre Ursachen in der Person des "Verhinderten" haben (vgl. dazu auch BGHSt 21, 131). Dabei handelt es sich zumeist um unerwartete Ereignisse wie z.B. nicht vorhergesehene Dienstunfähigkeit. Handelt es sich hingegen um eine von der Justizverwaltung bewusst herbeigeführte "Verhinderung" - so z.B. die Nichtnachbesetzung einer Vorsitzendenstelle wegen einer sogenannten Haushaltssprerre (vgl. BGH JR 86, 66) -, so liegt darin eine Umgehung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruches auf den gesetzlichen Richter. Bezogen auf eine etwaige Überlastung des ordentlichen Vorsitzenden gilt Entsprechendes. Ist die Überlastung durch strukturelle Maßnahmen veranlasst, so ist sie vorhersehbar, nicht vorübergehend und nicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalles zurückzuführen und damit kein Grund für eine Verhinderung i.S.d. § 21f Abs. 2 GVG. Ansonsten hätte es die Justizverwaltung in der Hand, durch Zuweisung zusätzlicher Aufgaben eine permanente Verhinderung des ordentlichen Vositzenden herbeizuführen. Schon die Möglichkeit sachfrem...