Leitsatz (amtlich)
§ 1666 BGB erfordert eine gegenwärtige, in solchem Maße bestehende Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des Kindeswohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt; zudem ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten. Für einen Sorgerechtsentzug nicht ausreichend es danach, wenn die beobachtete mangelnde Feinfühligkeit der Mutter bezogen auf einen unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommenen Säugling alternativ und im eA-Verfahren nicht weiter aufklärbar auf mehreren Ursachen (Unerfahrenheit, Traumatisierung, psychische Erkrankung) beruhen kann, von denen nur der letztgenannte Grund nicht anders als durch einen Sorgerechtseingriff abgewendet werden kann.
Verfahrensgang
AG Hamburg-St. Georg (Aktenzeichen 986 F 322/20) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde vom 3. Dezember 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 27.11.2020 in Verbindung mit dem Beschluss vom 17.11.2020 abgeändert und unter Aufhebung des angeordneten Sorgerechtsentzuges der Kindesmutter die Auflage erteilt,
A... unverzüglich in einer Kinderkrippe anzumelden, welche sie kurzfristig aufnimmt,
vom Jugendamt angebotene ambulante Jugendhilfemaßnahmen anzunehmen,
an einer Unterbringung in einer Eltern-Kind-Einrichtung konstruktiv mitzuarbeiten,
verlässlich mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten,
die eigene Erreichbarkeit sicherzustellen und Termine mit dem Jugendamt wahrzunehmen.
Die Auflage wird bis längstens 31.12.2021 befristet.
II. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3 000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ein Entzug der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung für das Kind A..., geboren am ....
Hinsichtlich des Sachverhaltes wird zunächst auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss vom 27. November 2020 verwiesen.
Gegen diesen Beschluss hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2020, eingegangen bei Gericht am 4. Dezember 2020, Beschwerde eingelegt.
Vom 25. November 2020 bis 17. Dezember 2020 hatte die Kindesmutter im Kinderschutzhaus Umgang mit ihrer Tochter in Begleitung von Frau H.... Ein Abschlussbericht vom 21. Dezember 2020 befindet sich bei der Akte. Im Dezember 2020 wechselte das Kind A... in eine Kurzzeitpflegestelle. Seitdem finden Umgänge der Kindesmutter zweimal wöchentlich für eine Stunde in den Räumen des Trägers E... statt. Insofern liegt ein umfassender Bericht des Trägers E... vor.
Die Kindesmutter ist mittlerweile in eine andere Unterkunft umgezogen.
Die Kindesmutter trägt vor, der Beschluss sei rechtswidrig. Sie spreche weder Deutsch noch Englisch, sodass sie weite Teile des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung nicht verstanden habe und so von ihr zu Unrecht ein hilf- und planloser Eindruck entstanden sei. Ihr seien weder die besonderen Umstände der Geburt noch der Umstand, dass sie zunächst eine Geburtsurkunde nicht beantragt habe, vorzuwerfen.
Mit der Beschwerde hat die Kindesmutter zunächst vorgetragen, sie lebe bei dem Onkel des Kindesvaters, bei dem ein eigenes Kinderzimmer eingerichtet sei. Der Umstand, dass sie über keine Erfahrung mit einem Säugling verfüge, sei bei ihr nicht anders als bei anderen Erstgebärenden und führe nicht zu einer Kindeswohlgefährdung. Das Gericht stütze sich einseitig auf Annahmen und Vermutungen, die für eine Kindeswohlgefährdung sprechen würden. Somit gebe es keinen wirklichen Anhaltspunkt dafür, den Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2021 hat die Kindesmutter eine Geburtsurkunde, eine Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft sowie eine Meldebestätigung der Freien Hansestadt Hamburg eingereicht.
Die Beschwerdeführerin hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
Der Kindesvater trägt vor, für eine Inobhutnahme bestehe kein Raum, er würde gemeinsam mit der Kindesmutter und dem gemeinsamen Kind als Familie zusammenleben wollen und die Kindesmutter bei der Betreuung des gemeinsamen Kindes unterstützen. Dementsprechend habe er mittlerweile zweimal Umgang mit seiner Tochter gehabt und der Umgang sei sehr gut verlaufen. Im Anschluss an den zweiten Umgangstermin habe das Kind überhaupt nicht aus seinen Armen gewollt. Eine Ausweitung der Umgänge sei gewünscht. Trotz seiner Residenzpflicht im Landkreis Saalekreis dürfe er sich in Hamburg aufhalten. Soweit er familiäre Bindungen nachweisen könne, dürfe er mit Zustimmung der Freien und Hansestadt Hamburg und der Ausländerbehörde Saalekreis seinen Wohnsitz in Hamburg begründen.
Der Amtsvormund hat vorgetragen, dass Jugendamt habe den Träger Pfiff mit einer Perspektivklärung beauftragt. Er tritt der Beschwerde entgegen. Die Entziehung des Sorgerechts und Fremdunterbringung des Kindes seien erforderlich, um eine akute Kindeswohlgefährdung abzuwenden.
Das Jugendamt hat mitgeteilt, dass eine Mutter und-Kind-Einrichtung, die Frau J... mit A... aufnehmen würde, nic...