Leitsatz (amtlich)
1. Der Wegfall einer Inhaftierung bewirkt nicht kraft Gesetzes die Aufhebung der zuvor nach § 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 4 Hs. 2 StPO getroffenen Beiordnungsentscheidung, wenn der Angeklagte zuvor mindestens drei Monate Freiheitsentzug erlitten hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen worden ist.
2. In diesen Fällen bedarf es vielmehr einer - nach Anhörung des Angeklagten - ausdrücklich zu treffenden und zu begründenden gerichtlichen Aufhebungsentscheidung.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 1 Nrn. 4-5, Abs. 3, § 141 Abs. 3-4
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 16.06.2014; Aktenzeichen 708 Ns 24/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts vom 16. Juni 2014 aufgehoben.
Der Antrag des Angeklagten auf Beiordnung von Rechtsanwalt R. vom 12. Juni 2014 ist mit Blick auf die auch für die Berufungs- und Revisionsinstanz fortdauernde Beiordnungsentscheidung des Ermittlungsrichters vom 2. September 2013 gegenstandslos.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Gegen den polnischen Angeklagten hatte der Ermittlungsrichter am 24. August 2013 Haftbefehl erlassen. Mit diesem war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, in Hamburg im August 2013 - jeweils idealkonkurrierend - eine Hehlerei, eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr und ein vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis begangen zu haben. Nach Ablauf einer mehr als einwöchigen Frist zu Stellungnahme hatte ihm der Ermittlungsrichter von Amts wegen Rechtsanwalt R. als notwendigen Verteidiger bestellt (§ 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 4 Hs. 2 StPO).
Das Amtsgericht hatte den Angeklagten sodann am 7. Januar 2014 zu einer fünfmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, zugleich den Haftbefehl aufgehoben und den Angeklagten aus der Haft entlassen. Nach seiner Ladung zur Berufungshauptverhandlung hat Rechtsanwalt R. bei der Strafkammer seine Beiordnung beantragt und darauf hingewiesen, dass beim Amtsgericht Pasewalk ein "nahezu" identischer Tatvorwurf gegen den Angeklagten in absehbarer Zeit verhandelt werde, wobei eine im Verurteilungsfall mit der hier verhängende Strafe eine Gesamtstrafe zu bilden sei. Vor diesem Hintergrund sei die Verteidigung hier nach § 140 Abs. 2 StPO notwendig.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO verneint, den Antrag abgelehnt und die vom Angeklagten geführte Berufung sodann nach eintägiger Hauptverhandlung am 16. Juni 2014 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte "der Hehlerei in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis" schuldig ist. Hiergegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, deren Begründungsfrist derzeit noch nicht abgelaufen ist. Gegen die abgelehnte Bestellung zum Pflichtverteidiger wendet sich der Angeklagte überdies mit der Beschwerde.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 304, 306 StPO).
a) Die Beschwerde ist hier nicht durch § 305 Satz 2 StPO ausgeschlossen (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 141 Rn. 10a; Laufhütte/Willnow in KK-StPO, 7. Aufl., § 141 Rn. 13, jeweils m.w.N.; ferner bereits HansOLG Hamburg, Beschlüsse vom 25. August 1951 - Ws 241/51, JZ 1951, 760 und vom 14. Dezember 1984 - 2 Ws 623/84, JR 1986, 257) und auch nicht etwa prozessual überholt.
Zwar kann der Beschwerdeführer für das Berufungsverfahren die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht mehr erreichen, nachdem gegen ihn ein Berufungsurteil ergangen ist (vgl. KG, Beschluss vom 9. März 2006 - 5 Ws 563/05, StV 2007, 372; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., Rn. 8 m.w.N.). Die Mitwirkung eines Verteidigers kann jedoch auch anschließend noch geboten sein, etwa für eine anstehende Revisionsbegründung oder für möglicherweise erforderliche Gegenerklärungen und Erwiderungen auf einen Antrag der Anklagebehörde nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. KG, Beschluss vom 31. März 2014 - 4 Ws 27/14, BeckRS 2014, 13296). Schließlich kann der Angeklagte auch nicht in gleicher Weise effektiven Rechtsschutz mit der Revision erreichen. Wenn - wie hier - der Rechtsanwalt ungeachtet der abschlägig verbeschiedenen Beiordnung anwesend war, versagt die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO (a.A. wohl noch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 15. Oktober 1984 - 2 Ws 516/84, MDR 1985, 74).
b) Es liegt ferner die notwendige Beschwer des Angeklagten vor. Seine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten (vgl. nur Zabeck in KK-StPO, 7. Aufl., § 304 Rn. 28; Hoch in SSW/StPO, § 304 Rn. 11) ergibt sich hier - ungeachtet der noch fortbestehenden amtsgerichtlichen Beiordnungsentscheidung (vgl. nachstehend 2.) - jedenfalls aus seinem Klarstellungsinteresse gegenüber dem zuständigen Kostenbeamten.
2. Das Rechtsmittel ist in der Sache auch begründet.
Für die Ablehnung der begehrten Beiordnung durch den Strafkammervorsitzenden war rechtlich kein Raum; der hierauf abzielende Antrag des Angeklagten ist gegenstandslos. Die ...