Leitsatz (amtlich)
Eine Stellungnahme nach § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO soll Ausführungen dazu enthalten, ob und welche Art rechtswidrige Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung im Hinblick auf Häufigkeit und Rückfallfrequenz ist, wie hoch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist und inwieweit im Falle einer Aussetzung der Vollstreckung weniger belastende Maßnahmen ausreichen können, um den Zweck der Maßregel zu erreichen.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 31.08.2020; Aktenzeichen 605 StVK 484/13) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 5, vom 31. August 2020 aufgehoben und die Sache an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zugehörigen notwendigen Auslagen des Untergebrachten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Gegen den Beschwerdeführer hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 24. August 2010 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Entscheidung ist seit dem 1. September 2010 rechtskräftig, seitdem wird die Maßregel in der Klinik für forensische Psychiatrie der Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll vollstreckt. Zuvor war dort bereits ab dem 13. August 2010 eine gegen den Beschwerdeführer ergangene Anordnung der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom 10. August 2010 vollzogen worden.
Das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 5 als Strafvollstreckungskammer, hat mit Entscheidungen vom 31. August 2011, vom 31. August 2012, vom 30. August 2013, vom 19. August 2014, vom 1. September 2015, vom 18. August 2016, vom 1. August 2017, vom 2. August 2018, vom 28. August 2019 und zuletzt vom 31. August 2020 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet.
Gegen die Entscheidung vom 31. August 2020, auf richterliche Verfügung vom selben Tage der mit Beschluss vom 20. Juli 2020 für das laufende Überprüfungsverfahren beigeordneten Verteidigerin des Untergebrachten zugestellt am 14. September 2020, hat letztere für den Untergebrachten am 21. September 2020 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit Stellungnahme vom 8. Oktober 2010 hat die Generalstaatsanwaltschaft auf Verwerfung der sofortigen Beschwerde angetragen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig erhoben. In der Sache hat sie vorläufigen Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Maßregel und ihrer Vollstreckung, mithin zugleich gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung und der Erklärung der Maßregel für erledigt, ist nach § 67d Abs. 6 StGB i.V.m. §§ 463 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 67d Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 463 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden, § 311 Abs. 2 StPO.
2. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem schwerwiegenden Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer führt. Die von der Kammer gem. § 463 Abs. 4 Satz 1 Satz StPO eingeholte gutachterliche Stellungnahme der Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, in der der Verurteilte untergebracht ist, ist, vom 16. Juni 2020, genügt den an solche Stellungnahmen zu stellenden inhaltlichen Anforderungen nicht.
a) Nach § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO ist im Rahmen der nach § 67e StGB erforderlichen Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist.
Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 (BGBl. I. S. 1610, 1611; vgl. hierzu BT-Drucks. 18/7244) neu gefasst worden. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs verfolgt die Änderung unter anderem das Ziel, die prozessualen Sicherungen zur Vermeidung unverhältnismäßig langer Unterbringungen in § 463 Abs. 4 und 6 StPO durch Konkretisierung der Anforderungen an die jährlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Klinik auszubauen (BT-Drucks. 18/7244 Bl. 13).
In der konkreten Begründung zur Neufassung des § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO (BT-Drucks. 18/7244 Bl. 36 f.) heißt es unter anderem:
"Es wird gesetzlich klargestellt, dass auch diejenigen Fortdauerentscheidungen, denen kein (externes) Sachverständigengutachten zugrunde liegt, auf einer fundierten fachlichen Bewertung beruhen müssen. Aus der freiheitssichernden Funktion des Artikel 2 Absatz 2 GG folgt, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben müssen, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2014, 2 BvR 1795/12 u. a., bei juris Rn. 37).