Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 16.03.2000; Aktenzeichen 601 Ks 14/00)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des

Vorsitzenden der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts Hamburg vom 16. März 2000 wird verworfen.

 

Gründe

Der Angeklagte wendet sich dagegen, daß der Vorsitzende des Schwurgerichts ihm im angefochtenen Beschluß die beantragte Beiordnung einer zweiten Verteidigerin (neben dem inzwischen beigeordneten Verteidiger) versagt hat.

Dem Angeklagten liegt zur Last, er habe in der Nacht zum 22. Mai 1999 auf der Insel ... die seinerzeit infolge Trunkenheit widerstandsunfähige 28-jährige ... ... sexuell mißbraucht und ermordet (Verbrechen, strafbar nach den §§ 211 Abs. 1 und 2, 179 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 Nr. 1 StGB) und zuvor im April 1999 sexuellen Mißbrauch (Analverkehr) an der durch Trunkenheit widerstandsunfähigen, damals 17-jährigen ... B. verübt. Die Hauptverhandlung vordem Schwurgericht hat am 6. Juni 2000 begonnen.

Bereits im Zwischenverfahren ist seitens der Verteidigung für den Angeklagten die Bestellung zweier Verteidiger beantragt worden (Bl. 1036 d.A.). Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat mit Beschluß vom 16. März 2000 (Bl. 1047) die Bestellung zweier Verteidiger abgelehnt und dazu ausgeführt die Sache sei nicht so außergewöhnlich schwierig oder umfangreich, daß sie nicht von einem Verteidiger allein bewältigt werden könnte.

Daraufhin legte Rechtsanwältin ... ihr Wahlmandat nieder und wurde Rechtsanwalt ... auf seinen nunmehr am 21. März 2000 bei Gericht eingegangenen Antrag auf alleinige Beiordnung (Bl. 1063) am 24. März 2000 zum Verteidiger des Angeklagten bestellt (Bl. 1064 d.A.).

Eingehend am 20. Juni 2000 hat Rechtsanwalt M. namens des Angeklagten nunmehr Beschwerde gegen den Beschluß vom 16. März 2000 erhoben, soweit darin die Beiordnung zweier Verteidiger abgelehnt worden ist (Bl. 1339).

I.

Die Beschwerde ist zulässig. § 305 StPO steht ihrer Statthaftigkeit schon deshalb nicht entgegen, weil die angefochtene Entscheidung nicht in laufender Hauptverhandlung, sondern bereits im Zwischenverfahren ergangen ist. Es entspricht im übrigen mittlerweile herrschender Meinung, daß die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers Rechtswirkungen entfaltet, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 305 Rdn. 5 und § 141 Rdn. 10 m.w.Nachw.). Entgegenstehende frühere Rechtsprechung (z.B. NStZ 1985, 88) für den Fall der Ablehnung der Verteidigerbestellung in laufender Hauptverhandlung haben die Strafsenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts inzwischen aufgegeben (Beschlüsse vom 14.2.1994 - 1 Ws 47/94 und 15.9.1994 - 2 Ws 238/94, wie hier auch HansOLG NStZ-RR 1997, 203).

II.

Die Beschwerde ist indes nicht begründet.

Wie der Senat im Beschluß vom 17. Februar 1997 (2 Ws 26 - 27/97 = NStZ-RR 1997, 203) im einzelnen dargelegt hat, kommt die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nur im Ausnahmefall in Betracht, wenn entweder die außergewöhnliche Schwierigkeit, bzw. der außergewöhnliche Umfang des Verfahrensstoffes oder die außergewöhnlich lange Dauer der Hauptverhandlung die Bestellung erforderlich machen, um den Institutionszweck der notwendigen Verteidigung, nämlich die Sicherung rechtskundigen Beistands für den Angeklagten und die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs, zu erfüllen (HansOLG Hamburg a.a.O. m.w.Nachw.). Der zur Beiordnungsentscheidung berufene Vorsitzende verletzt seinen ihm eingeräumten Ermessensspielraum erst dann, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nicht begegnet werden kann.

Weder mit Blick auf eine ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten noch auf die Sicherung der Hauptverhandlung zeigt das Vorbringen des Beschwerdeführers solche konkrete Gefahren auf.

1.

Ausgehend davon, daß jeder Verteidiger voll in den Verfahrensstoff eingearbeitet sein muß und kontinuierlich an der Hauptverhandlung teilzunehmen hat (vgl. dazu HansOLG Hamburg a.a.O. m.w.Nachw.), kommt die Beiordnung eines zweiten Verteidigers wegen Schwierigkeit oder Umfang einer Strafsache nicht zur Ermöglichung einer wechselseitigen Vertretung beider Verteidiger oder zur allgemeinen Arbeitsentlastung des bestellten Verteidigers, sondern nur dann in Betracht, wenn - auch nach Ausschöpfen aller Hilfsmittel - der Verfahrensstoff ausschließlich bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger ausreichend beherrscht werden kann (HansOLG Hamburg a.a.O.). So liegt der Fall hier nicht.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß der beigeordnete Verteidiger Rechtsanwalt Medecke, der das Verfahren seit der ersten Festnahme des Beschwerdeführers im Juli 1999 als Verteidiger begleitet, nicht in der Lage wäre, den umfangreichen Prozeßstoff zu beherrschen, sind nicht ersichtlich.

Zwar umfaßt das vorliegende Verfahren umfangreiches Akten- und Beweismaterial, wie dem Senat a...

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