Normenkette
StVO § 4 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 18.10.2021; Aktenzeichen 323 O 267/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18.10.2021, Aktenzeichen 323 O 267/20, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger kann hierzu binnen 2 Wochen Stellung nehmen.
Gründe
I. Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls vom 18.08.2020 verneint. Die Beklagte haftet bereits dem Grunde nach nicht, da den Kläger die Alleinhaftung trifft.
1. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kollision zwischen dem von dem Kläger auf der linken Spur der L. Hauptstraße gefahrenen PKW und dem von der Zeugin L... zuvor von der rechten in die linke Spur geführten Gespann (Sattelzugmaschine mit Sattelaufleger/Tank) auf einem unfallkausalen und schuldhaften Auffahren des Klägers, nicht dagegen auf einem Fahrstreifenwechsel der Zeugin L... beruht. Dies steht kraft Anscheins fest.
a) In der Hamburger Rechtsprechung gilt zur Abgrenzung von Auffahrunfällen und gefährlichen Fahrstreifenwechsel im innerstädtischen Verkehr Folgendes (siehe u.a. Hinweisbeschluss vom 17.01.2018, 14 U21/17, nicht veröffentlicht): Stoßen die Fahrzeuge achsparallel mit einer Überdeckung von mindestens etwa 2/3 ihrer Fahrzeugbreite im selben Fahrstreifen zusammen, spricht der Anschein für einen Auffahrunfall i.S. von § 4 Abs. 1 StVO. Hat dagegen das einwechselnde Fahrzeug Seiten- oder nur Eckschäden am Heck mit einer geringen Überdeckung, spricht der Anschein dafür, dass sich der Unfall im inneren Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet hat. Hintergrund für diese Rechtsprechung ist, dass das Schadensbild die Stellung der Fahrzeuge zueinander aufzeigt, und weiter, dass ein Fahrstreifenwechsel nicht abrupt abläuft und für den Hintermann bei den in geschlossenen Ortschaften gefahrenen Geschwindigkeiten genügend Zeit bleibt, mit einer Anpassung seines eigenen Tempos den gehörigen Sicherheitsabstand zum Vordermann wiederherzustellen. Auch ist die Breite von Fahrstreifen zu berücksichtigen. Fahrzeuge fahren fast nie deckungsgleich hintereinander. Deshalb sind etwa Überdeckungen, die am Heck des einwechselnden Fahrzeugs über Eckschäden hinausgehen, nicht ausreichend, um einen Anschein für einen unfallbedingten Spurwechsel anzunehmen. Umgekehrt deuten mittig durch einen Frontalanstoß entstandene (großflächig überlappende) Schadenbilder typischerweise auf ein unfallkausales Auffahren hin.
Der vorliegende Sachverhalt gibt keine Veranlassung die Senatsrechtsprechung zu revidieren:
Richtig ist der Hinweis des Klägers darauf, dass Teile der Rechtsprechung das Eingreifen eines Anscheinsbeweises für ein Auffahren verneinen, wenn nach einem Spurwechsel die Fahrzeuge nicht so lange hintereinander in einer Spur gefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen einstellen konnten (so etwa jeweils für Autobahnunfälle: OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Juni 2020 - 22 U 70/18 -, Rn. 8, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Januar 2010 - I-1 U 89/09 -, Rn. 28, juris). Gestützt wird diese Einschätzung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs für einen Auffahrunfall im Bereich einer Autobahnausfahrt mit einem Schräganstoß (BGH, Urteil vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10 -, Rn. 8, juris; siehe auch BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10 -, BGHZ 192, 84-90, Rn. 11; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 32/16 -, Rn. 11, juris). Hier geht es jedoch um einen Unfall im Stadtbereich mit einem zentralen Anstoß und qualifizierter Schadenüberdeckung.
Inzwischen hat zwar das Kammergericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den mehrspurigen innerstädtischen Verkehr übertragen (KG Berlin, Urteil vom 22. Dezember 2021 - 25 U 33/21 -, Rn. 37, juris; Revision wurde zugelassen: Rn. 58), jedoch ist der vorliegende Sachverhalt anders gelagert. Das Kammergericht hatte einen Fall zu beurteilen, in dem der Kläger mit seinem PKW vom mittleren in den linken Fahrstreifen einer insgesamt dreispurigen Fahrbahn gewechselt war und vor einer roten Ampel angehalten hatte, als es zum Auffahren durch das Beklagtenfahrzeug kam (a.a.O., Rn. 1). Hier ist dagegen eine Zugmaschine mit Aufleger aufgrund einer Straßenverengung in den linken Fahrstreifen einer zweispurigen Fahrbahn eingefahren. Dabei kann offen bleiben, ob sich die vom Bundesgerichtshof maßgeblich zur Verneinung der Typizität eines Auffahrens herangezogene "bekannte Fahrweise auf Autobahnen" - wie vom Kammergericht angenommen - auf den innerstädtischen Verkehr übertragen lässt, da dort die gefahrenen Geschwindigkeiten geringer sind als auf Autobahnen; denn vorliegend ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem fahrstreifenwechselnden Fahrzeug nicht um einen PKW, sondern um ein wesentlich längeres, größeres, schwerfä...