Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtungsklage des Strafgefangenen nach ablehnender Bescheidung eines Vornahmeantrags
Leitsatz (amtlich)
›1. Hat der Gefangene gegenüber der untätigen Vollstreckungsbehörde zunächst nur einen Vornahmeantrag gemäß § 113 gestellt, so kann er nach Erlass eines verspäteten, für ihn negativen Bescheids zwischen folgenden Möglichkeiten wählen:
a) Er kann das gerichtliche Verfahren für erledigt erklären.
b) Er kann das gerichtliche Verfahren aber auch mit einem Verpflichtungsantrag weiter betreiben. Gegen den verspätet erlassenen Bescheid braucht kein Widerspruch eingelegt zu werden.
2. Welche der beiden Möglichkeiten der Gefangene wählt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel ist von einer Fortführung des Verfahrens auszugehen.
3. Hat der Gefangene nach Erlass des negativen Bescheids zunächst einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und erst nach Ablehnung dieses Antrags den Verpflichtungsantrag in der Hauptsache, ist von einer Fortführung des Verfahrens auszugehen. Die Verpflichtungsklage ist dann zulässig, ohne dass es eines Vorverfahrens nach § 6 Abs. 1 HbgAGVwGO bedarf.‹
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 12.11.2004) |
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer, Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (JVA) der Beschwerdegegnerin, beantragte am 01.03.04, mit dem Nikotin-Suchtentwöh-nungsmittel "Zyban" behandelt zu werden.
Am 02.06.04 erhob er gemäß § 113 StVollzG Klage (613 Vollz 128/04) und beantragte, die JVA zu verpflichten, seinen Antrag vom 01.03.04 unverzüglich zu bescheiden. Mit ihrer Stellungnahme vom 25.06.04 zu diesem Klagantrag lehnte die JVA den Antrag vom 01.03.04 ab. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin mit Schreiben vom 30.06.04, der JVA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und stellte gleichzeitig den Antrag, die JVA im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, unverzüglich mit der Nikotin-Suchtentwöhnungsbehandlung zu beginnen. Mit Beschluss vom 18.08.04 legte das Landgericht "nach Erledigung des Vornahmeantrags" die Kosten des Verfahrens der JVA auf.
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Landgericht mit Beschluss vom 08.08.04 (609 Vollz 165/04) mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine medizinisch gebotene Heilbehandlungsmaßnahme, deren sofortige Aufnahme zwingend geboten wäre, der Antragsteller sei vielmehr auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu verweisen.
Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 11.08.04 in der vorliegenden Sache den Antrag, den Eilantrag vom 30.06.04 als Hauptsacheantrag anzusehen und in der Hauptsache zu entscheiden. Das Landgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 12.11.04 als unzulässig ab, weil das in Hamburg vorgeschriebene Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden war. Da der Antragsteller seinen Untätigkeitsantrag nicht mit dem Verpflichtungsantrag kombiniert habe, sei die vorherige Durchführung eines Vorverfahrens nicht entbehrlich.
Gegen den ihm am 16.11.04 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 08.12.04 formgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt. Er beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerin ist der Rechtsbeschwerde nicht entgegengetreten, weil sie die Rechtsbeschwerde für zulässig und begründet hält.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und erfüllt auch die Zulassungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts geboten, nämlich zur Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer Verpflichtungsklage nach vorheriger Vornahmeklage noch ein Vorverfahren durchgeführt werden muss.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch einen - vorläufigen - Erfolg. Der Verpflichtungsantrag durfte nicht als unzulässig zurückgewiesen werden. Denn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens war im vorliegenden Fall nicht mehr erforderlich.
a) Die vom Landgericht vertretene Auffassung, die vorherige Durchführung eines Vorverfahrens sei nur entbehrlich, wenn der Antragsteller seinen Vornahmeantrag mit einem Verpflichtungsantrag kombiniert, ist unzutreffend. Sie wird auch nicht, wie das Landgericht meint, von Volckart (AK-StVollzG, 4. Aufl. 2000) vertreten. Volckart behandelt an der vom Landgericht angegebenen Stelle (AK-StVollzG, Rdz. 9 zu § 113 StVollzG) den Fall, dass die Vollzugsbehörde binnen der ihr vom Gericht nach § 113 Abs. 2 StVollzG gesetzten Frist entscheidet, also gerade nicht säumig ist. Im vorliegenden Verfahren hat das Landgericht aber keine Frist nach § 113 Abs. 2 StVollzG gesetzt.
b) Grundsätzlich ist in Hamburg die Durchführung des Vorverfahrens gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG i.V.m. § 6 Abs. 1 HmbAGVwGO Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Verpflichtungsklage. Ein Vorverfahren ist nach allgem...