Leitsatz (amtlich)

Ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straffälligkeit setzt grundsätzlich voraus, dass der Verurteilte vor Begehung der neuen Straftat Kenntnis von seiner früheren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe - nicht hingegen notwendig von deren Vollstreckungsaussetzung und vom Lauf der Bewährungszeit - erlangt hat.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 02.06.2005; Aktenzeichen 607 StVK 269/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 7, vom 2. Juni 2005 - betreffend den Widerruf der Strafaussetzung - aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zugehörigen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat mit Strafbefehl vom 26. März 2003 gegen den Verurteilten wegen gemeinschaftlichen besonders schweren Diebstahls auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erkannt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; mit zugleich ergangenem Beschluss hat es die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt. Strafbefehl und Bewährungsbeschluss sind der damaligen Verteidigerin am 17. April 2003 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 2. Juni 2005 hat das Landgericht Hamburg, Strafvollstreckungskammer, die Strafaussetzung wegen neuer Straffälligkeiten des Verurteilten widerrufen. Gegen den am 6. Juni 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 9. Juni 2005 eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der insbesondere behauptet wird, dieser habe vor Februar 2005 keine Kenntnis von dem Strafbefehl und der laufenden Bewährung gehabt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Aufhebung des Widerrufsbeschlusses angetragen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§§ 453 Abs. 2 S. 3, 311 Abs. 2 StPO) und begründet. Die Voraussetzungen eines Widerrufes der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 f Abs. 1 StGB sind nicht feststellbar.

1.

Allerdings hat der Verurteilte in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen (§ 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB).

a)

Der Verurteilte, ein jugoslawischer bzw. serbischer Staatsangehöriger, ist nach vorangegangener Ausweisung und Abschiebung spätestens Anfang März 2004 in das Bundesgebiet eingereist und hat sich bis zu seiner Festnahme in anderer Sache im Sommer 2004 hier aufgehalten, ohne eine Aufenthaltserlaubnis innezuhaben. Er hat während dieser Zeit im Zusammenwirken mit Mittätern am 4. März 2004, 16. April 2004, 23. April 2004 und 27. Mai 2004 von Kraftfahrzeugunternehmen jeweils unter Vorlage gefälschter Ausweispapiere hochwertige Fahrzeuge zu Probefahrten erlangt, jedoch plangemäß nicht zurückgegeben, sondern die Fahrzeuge durch Export, anderweitigen Weiterverkauf bzw. Demontage und Teileverkauf verwertet. Zudem hat er am 24. Juni 2004 einen hochwertigen Personenkraftwagen aufgebrochen, kurzgeschlossen und für einen Mittäter entwendet.

Deshalb hat ihn das Landgericht Hamburg am 7. Februar 2005 rechtskräftig wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen, wegen Diebstahls und wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren drei Monaten verurteilt. Die schuldhaften Tatbegehungen stehen aufgrund des im Erkenntnisverfahren abgelegten, insoweit glaubhaften Geständnisses, das der Verurteilte im Widerrufs- und Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt hat, zur Überzeugung auch des Senats fest.

b)

Die neuen Taten fallen in den Lauf der verfahrensgegenständlichen Bewährungszeit.

Die durch das Amtsgericht auf drei Jahre bestimmte Bewährungszeit begann mit Rechtskraft des Strafbefehls (§ 65 a Abs. 2 S. 1 StGB) am 1. Mai 2003. Der Strafbefehl war der damaligen Verteidigerin am 17. April 2003 zugestellt worden, ohne dass Einspruch eingelegt worden ist. Diese Zustellung ist wirksam. Sie war am 26. März 2003 richterlich angeordnet worden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO) und ist am 17. April 2003 ordnungsgemäß bewirkt worden (§§ 37 Abs. 1 StPO, 174 ZPO). Die Zustellung an die Verteidigerin wirkte auch für den Verurteilten; die auf die Verteidigerin lautende Vollmachtsurkunde befand sich seit dem 10. Juli 2002 bei den Akten (§ 145 a Abs. 1 StPO). Ohne Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung und für das Inlaufsetzen der Bewährungszeit bleibt, ob der Verurteilte Kenntnis von der Zustellung oder von der Verhängung einer Freiheitsstrafe und deren Vollstreckungsaussetzung erlangt hat.

2.

Die Unkenntnis des Verurteilten von der Verhängung der Freiheitsstrafe hindert hier gleichwohl den Widerruf der Strafaussetzung wegen neuer Straffälligkeit.

a)

Bei einer solchen Unkenntnis fehlt es grundsätzlich an der in § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB normierten Voraussetzung, dass der Verurteilte durch die neue Straftat gezeigt haben muss, die der Strafaussetzung zugrunde gelegte Erwartung habe sich nicht erfüllt.

aa)

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I, 50) schied eine solche Unkenntnis des Verurteilten ...

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