Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Bei absehbar umfangreichen Verfahren, in denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, fordert das Beschleunigungsgebot in Haftsachen stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Verhandlungstag pro Woche (BVerfG, NStZ 2006, 295 ff; StV 2006, 318 f). Eine Terminierung von nur 26 Verhandlungstagen in einem Zeitraum von 9 1/2 Monaten, also weniger als drei Verhandlungstagen pro Monat, von denen mehrere zudem von vornherein als Kurztermine vorgesehen sind, ist mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht vereinbar.

  • 2.

    Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen kann insbesondere in Verfahren mit mehreren in Haft befindlichen Angeklagten dazu führen, dass das Recht des Angeklagten, sich von einem bestimmten Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, eingeschränkt wird.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten T. wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg (168 Gs 340/05) vom 28.06.05 aufgehoben.

Der Angeklagte ist sofort aus der Untersuchungshaft in dieser Sache zu entlassen.

 

Gründe

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 28. 06.05 ist zulässig und auch begründet.

1.

Der Angeklagte ist durch die im Haftbefehl bezeichnete Tathandlung des gemeinschaftlichen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Beisichführen eines Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, gem. §§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, 25 Abs. 2 StGB dringend verdächtig.

Gegen den Angeklagten wird gegenwärtig die Hauptverhandlung durchgeführt. Das Landgericht hat zuletzt mit Beschluss vom 13.06.06 den dringenden Tatverdacht angenommen. Als Tatgericht hat das Landgericht gegenüber dem Beschwerdegericht durch die Hauptverhandlung einen Erkenntnisvorsprung, so dass das Beschwerdegericht die Würdigung des Tatgerichts grundsätzlich hinzunehmen hat. Eine Bestätigung der landgerichtlichen Würdigung findet sich darin, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 10.01.06 ausweislich Anlage 1 des Hauptverhandlungsprotokolls teilgeständig eingelassen hat. Aus dem Festnahmebericht vom 27.06.05 ist zudem ersichtlich, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme 50 g Heroingemenge und ein Klappmesser bei sich führte. Weitere 231,86 g Heroingemenge konnten in der Wohnung des Angeklagten sichergestellt werden. Aus dem Gutachten des LKA vom 20.07.05 ergibt sich, dass das Heroingemenge insgesamt über einen Wirkstoffgehalt von 102 g Heroinhydrochlorid verfügte.

2.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr. Zutreffend hat das Landgericht in seiner Entscheidung vom 13.06.06 darauf hingewiesen, dass den Angeklagten eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten hat, die einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Soziale Bindungen, die diesem Fluchtanreiz entgegenstehen könnten sind nicht ersichtlich. Der ledige Angeklagte verfügt über keinen festen Arbeitsplatz.

3.

Gleichwohl kann der Haftbefehl keinen Bestand haben, weil das Verfahren nicht einer Weise gefördert worden ist, die dem aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG folgenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen genügt.

a)

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 27.06.05 aufgrund des angefochtenen Haftbefehls in Polizei- und Untersuchungshaft. Die dem Haftbefehl entsprechende Anklage wurde am 15.09.05 erhoben. Sie richtet sich gegen zwei weitere ebenfalls durch beigeordnete Verteidiger verteidigte Angeklagte, denen u. a. die mittäterschaftliche Begehung zur Tat des Angeklagten vorgeworfen wird. Mit Beschluss vom 11.11.06 ließ die Große Strafkammer die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zu. Gleichzeitig beraumte der Vorsitzende die Hauptverhandlung auf folgende Termine an:

06.12.05 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr

20.12.05 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr

03.01.06 9.00 Uhr

10.01.06 9.00 Uhr

16.01.06 13.00 Uhr

24.01.06 9.00 Uhr

09.02.06 9.00 Uhr

21.02.06 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr (dieser Termin entfiel später ersatzlos)

23.02.06 13.00 Uhr

Als Ende eines Verhandlungstages war in den nicht ausdrücklich bezeichneten Fällen jeweils 16 Uhr vorgesehen. Außerdem vermerkte der Vorsitzende, dass die Vereinbarung weiterer Hauptverhandlungstermine Ende November/Anfang Dezember 2005 stattfinden sollte.

Durch Verfügung vom 15.02.06 beraumte der Vorsitzende dann die folgenden weiteren Hautverhandlungstermine an:

06.03.06 13.00 Uhr

14.03.06 12.00 Uhr (15 Minuten)

03.04.06 13.00 Uhr bis 14.30 Uhr

20.04.06 13.00 Uhr

05.05.06 13.00 Uhr

08.05.06 ganztägig

Durch Verfügung vom 13.04.06 wurden die folgenden weiteren Termine anberaumt:

12.05.06 12.30 bis 12.45 Uhr

02.06.06 13.00 Uhr

09.06.06 10.00 Uhr

19.06.06 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr

10.07.06 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr

21.07.06 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr

Schließlich erfolgte durch Verfügung vom 15.05.06 die Anberaumung folgender Termine:

09.08.06 11.00Uhr

11.08.06 11.30 Uhr bis 11.45 Uhr

04.09.06 11.30 Uhr bis 11.45 Uhr

11.09.06 9.00 Uhr

25.09.06 9.00 Uhr

27.09.06 9.00 Uhr

In ihrer Haftfortdauerentscheidun...

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