Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensübergreifende Rechtsmittelrücknahme
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit einer verfahrensübergreifenden Berufungsrücknahme als Gegenstand einer rechtswidrigen Verfahrensabsprache.
Normenkette
StPO § 257c Abs. 2, § 302
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 18.08.2016) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18. August 2016 wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 (256 Ls 25/16) durch die in der Beschlussformel benannte Entscheidung nach § 322 Abs. 1 StPO verworfen. Die Berufungsstrafkammer erachtet die in einem anderen Berufungsverfahren im Rahmen einer Absprache erklärte - verfahrensübergreifende - Berufungsrücknahme des Angeklagten als wirksam. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 311, 322 Abs. 2 StPO); dem Rechtsmittel bleibt aber der Erfolg versagt. Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 ist in Rechtskraft erwachsen. Der Angeklagte hat seine hiergegen zunächst geführte Berufung wirksam zurückgenommen; für eine erneute Rechtsmitteleinlegung während noch laufender Berufungseinlegungsfrist war hier kein Raum.
1. Der Berufungsrücknahme durch den Beschwerdeführer ging folgendes Verfahrensgeschehen voraus:
a) Das Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer - gegen den Untersuchungshaft vollstreckt wurde - am 13. Juni 2016 unter anderem wegen versuchten Diebstahls mit Waffen zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt (254 Ls 25/16). Hiergegen legte er am Folgetag durch seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Dr. Y., "Rechtsmittel" ein (Bl. 237 d.A.). Gegen den Beschwerdeführer wurde am 15. Juni 2016 um 10 Uhr ein weiteres Berufungsstrafverfahren vor dem Landgericht geführt (710 Ns 15/16). In diesem erklärte der - hier durch Rechtsanwältin D. verteidigte - Beschwerdeführer, dass er sein im Verfahren 256 Ls 25/16 "eingelegtes Rechtsmittel" zurücknehme und "ausdrücklich" auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil verzichte; diese Erklärung genehmigte der Beschwerdeführer nach lautem Vorlesen. Während einer anschließend durch den Strafkammervorsitzenden um 10:15 Uhr angeordneten Unterbrechung brachte dieser einen "Auszug des Protokollentwurfs der heutigen Sitzung" selbst auf die Geschäftsstelle der im selben Gebäude ansässigen Abteilung 256 des Amtsgerichts. Hiervon unterrichtete er die Verfahrensbeteiligten in der um 10:30 Uhr fortgesetzten Hauptverhandlung. Hierauf wurde das Berufungsverfahren 710 Ns 15/16 auf Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft "gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016."
b) Am 16. Juni 2016 erklärte der Beschwerdeführer beim Rechtsantragsdienst zum amtsgerichtlichen Aktenzeichen 256 Ls 25/16: "In der gestrigen Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg ... wurde vereinbart, dass die gegenständlichen fünf Monate Freiheitsstrafe nicht verhängt werden, wenn ich die am Montag, den 13. Juni 2016, ... gegen mich verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten akzeptiere und die dort eingelegte Berufung zurücknehmen würde. Da der amtsgerichtliche Termin jedoch sehr chaotisch verlief, ich kein Vertrauen zu meiner dort beigeordneten Rechtsanwältin Frau Dr. Y. habe und die verhängten 15 Monate Freiheitsstrafe so nicht akzeptieren kann, widerrufe ich hiermit die vor dem Landgericht Hamburg in der Verhandlung am 15. Juni 2016 getroffene Absprache und bitte um Fortsetzung des Verfahrens" (Bl. 249 d.A.). Diesen Antrag wiederholte der Beschwerdeführer mit handschriftlicher Eingabe an das Amtsgericht vom 20. Juni 2016. Am selben Tag ging ein Schriftsatz der nunmehr durch den Beschwerdeführer mandatierten Rechtsanwältin Dr. J. ein, mit dem ein unbestimmtes Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 eingelegt wurde (Bl. 250 d.A.).
c) Das Landgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 18. August 2016 die "Berufungen des Angeklagten und seiner Verteidigerin" als unzulässig verworfen. Zur Begründung führte es aus, dass die Rücknahmeerklärung vor der weiteren Berufungsstrafkammer wirksam gewesen sei. Der Angeklagte sei verteidigt gewesen; überdies habe ihm ein Dolmetscher im Verfahren zur Seite gestanden.
2. Der Beschwerdeführer hat sein zunächst eingelegtes Rechtsmittel wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Abgabe einer entsprechenden Erklärung steht zur - freibeweislich anhand des Akteninhalts und einer dienstlicher Erklärung des Strafkammervorsitzenden des Verfahrens 710 Ns 15/16 (vgl. BGH, Beschl. v. 24. August 2016 - 1 StR 301/16, BeckRS 2016, 17113) - gewonnenen Überzeugung des Senats fest. Diese Rechtsmittelrücknahme erweist sich hier auch als wirksam (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme ...