Orientierungssatz

Orientierungssatz:

Befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 StGB umfasst als Zubehörfläche auch ein an der Hausfassade befestigtes Baugerüst.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 12.09.2019; Aktenzeichen 705 Ns 4/19)

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 5, vom 12. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg hat gegen den Angeklagten unter dem 18. April 2018 auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs erlassen, welcher dem Angeklagten am 24. April 2018 zugestellt worden ist und gegen welchen er am 3. Mai 2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Einspruch eingelegt hat. Dem Angeklagten ist zur Last gelegt worden, am 7. Juli 2017 im Rahmen der Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg gegen den Willen des Hausrechtsinhabers ein am Mehrfamilienhaus Schulterblatt 1 angebrachtes Gerüst bestiegen zu haben.

Am 4. Oktober 2018 hat das Amtsgericht Hamburg den Angeklagten in der auf seinen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt. Noch am gleichen Tage hat der Angeklagte gegen das Urteil "Rechtsmittel" eingelegt.

Mit seinem Urteil vom 12. September 2019 hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 5, auf das als Berufung durchgeführte Rechtsmittel des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen richtet sich die noch am 12. September 2019 eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, welche nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 1. November 2019 mit einer am 26. November 2019 bei dem Landgericht eingegangenen Zuschrift begründet worden ist. Nach Rücknahme der ursprünglich auch erhobenen Rüge formellen Rechts hat die Staatsanwaltschaft ihre Revision ausschließlich auf die allgemeine Sachrüge gestützt und hierzu näher ausgeführt.

In der Hauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft darauf angetragen, das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Der Angeklagte hat beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig und formgerecht begründete Revision der Staatsanwaltschaft (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der landgerichtliche Freispruch hält der durch die mit der Revision erhobenen Sachrüge veranlassten rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach den getroffenen Feststellungen des Landgerichts kommt eine Verurteilung des Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Absatz 1 StGB in Betracht. Zu Unrecht hat das Landgericht bei der Anwendung des materiellen Rechts auf die festgestellten Tatsachen angenommen, das an der Hausfassade befestigte und vom Angeklagten gegen den Willen des Hausrechtsinhabers betretene Baugerüst gehöre nicht zum befriedeten Besitztum eines anderen.

a) Wegen Hausfriedensbruchs macht sich gemäß § 123 Absatz 1 StGB strafbar, wer widerrechtlich in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt. Die Norm schützt das Hausrecht und damit die Gesamtheit der rechtlich geschützten Befugnisse, über die unter Schutz gestellten Bereiche tatsächlich frei zu verfügen und innerhalb der geschützten Bereiche frei darüber zu entscheiden, wer sich in ihnen aufhalten darf und wer nicht (MüKo-StGB/Schäfer, § 123 Rn. 1 f. m.w.N.).

aa) Von dem Begriff des befriedeten Besitztums im Sinne des Straftatbestandes sind mit Rücksicht auf die sprachgebräuchliche Bedeutung des Wortes "befriedet" nur Grundstücke oder Teile von Grund und Boden oder Gebäuden, also unbewegliche Sachen erfasst (RGSt 32, 371; Schweizer, GA 1968, 81; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, § 123 Rn. 6; MüKoStGB/Schäfer, § 123 Rn. 14; Lackner/Kühl/Heger, § 123 Rn. 3; LK/Lilie, § 123 Rn. 16; SK-StGB/Stein, § 123 Rn. 62; NK-StGB/Ostendorf, § 123 Rn. 23; ). Dies schließt jedoch nicht aus, dass eine bewegliche Sache zugleich in den Schutzbereich eines - unbeweglichen - befriedeten Besitztums einbezogen sein kann (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 10. September 1984, Az.: 2 Ss 326/84; OLGSt § 123 Nr. 1 [Schwimmdock]; Sternberg-Lieben/Schittenhelm a.a.O.).

bb) Als "befriedet" hatte die Rechtsprechung ursprünglich ein Besitztum nur dann angesehen, wenn es durch seine enge räumliche Verbindung mit einem bewohnten Haus dessen Frieden teilt (RGSt 1,...

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