Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 23.09.2011; Aktenzeichen 408 HKO 123/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 8 für Handelssachen, vom 23.9.2011, Geschäfts-Nr. 408 HKO 123/10, abgeändert. Die Klageanträge zu I.2. und I.4 werden abgewiesen. Der Urteilstenor zu I. 3 wird - unter Abweisung des zugrunde liegenden Klageantrags im Übrigen - dahingehend neu gefasst, dass der Beklagten bei Vermeidung der im Urteilstenor des LG genannten Ordnungsmittel verboten wird,
3. für die unter Ziff. I.1 des landgerichtlichen Urteilstenors bezeichneten Zeitschriften auch außerhalb des Zeitschriftentitels mit dem unter Ziff. I.1 bezeichneten Siegel gegenüber Verbrauchern und Einzelhändlern zu werben oder werben zu lassen,
insbesondere die als Anlage B beigefügte Präsentation den Presse-Einzelhändlern durch Presse-Grossisten zur Verfügung zu stellen,
wobei es auf die in den Anlagen B genannten konkreten Heftausgaben, Preise und Datumsangaben nicht ankommt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung aus Ziff. I.1 des landgerichtlichen Urteilstenors durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. EUR 200.000 abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Die Beklagte darf die Vollstreckung aus Ziff. I.3 des neu gefassten landgerichtlichen Urteilstenors durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. EUR 50.000 abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Die Kostenvollstreckung dürfen die Parteien i.H.v. 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlegt Zeitschriften (u.a. ...) und vertreibt diese über ihre Tochtergesellschaft ... GmbH. Die Beklagte vertreibt von der ...KG und der ... Zeitschriften Verlag KG verlegte Zeitschriften (darunter die im Antrag zu I.1 genannten Titel). Im vorliegenden Hauptsacheverfahren beanstandet die Klägerin auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage den Vertrieb von Zeitschriften durch die Beklagte, welche auf der Titelseite mit einem von der Klägerin für irreführend gehaltenen Siegel versehen sind. Ferner verlangt die Klägerin die Unterlassung weiterer vertrieblicher Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Verwendung des Siegels.
Der Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften erfolgt in Deutschland über die sog. Presse-Grossisten ("Presse-Grosso"), die als Gebietsmonopolisten sämtliche Einzelhändler mit den Presseerzeugnissen der Verlage beliefern. Neuerdings sind in Hamburg, Berlin und Teilen Niedersachens und Schleswig-Holsteins mehrere Grossisten nebeneinander tätig; auch hier aber beliefert infolge einer sog. Objekttrennung ausschließlich ein Grossist die jeweiligen Einzelhändler mit bestimmten Zeitschriftentiteln. Grundlage dieses Vertriebssystems ist der "Gemeinsame Leistungsrahmen für Grosso und Verlage" aus dem Jahr 1993 (Anlage B 13). Infolge der gem. § 30 GWB gestatteten Preisbindung durch die Verlage hat der Einzelhandel eine feste Spanne pro tatsächlich verkaufter Zeitschrift. Nicht verkaufte Exemplare kann der Einzelhandel gegen Kaufpreiserstattung retournieren (Remissionsrecht).
Auflagenzahlen ermittelt seit 1949 neutral und objektiv die "Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V." (IVW), die quartalsweise Durchschnitts- und Heftauflagen - nicht aber Umsatzzahlen - veröffentlicht, jeweils gegliedert nach Vertriebsform (Einzelverkäufe, Abonnements, Lesezirkel etc.). Seit ca. acht Jahren wird in der Fachpresse die Liste der 100 umsatzstärksten Zeitschriften im Einzelverkauf veröffentlicht (Anlagen B 10). Der in dieser Liste ausgewiesene Umsatzwert ergibt sich aus der Multiplikation des Einzelverkaufspreises mit der Erscheinungsfrequenz und seiner durchschnittlichen Jahreseinzelverkaufsauflage laut IVW. In der Liste des Jahres 2009 ist die Klägerin mit neun Titeln vertreten, die Beklagte mit 25 Titeln, ferner der ...-Verlag (20 Titel), der ...-Verlag (elf Titel), die ...-Gruppe (zehn Titel), der ...-Verlag (sechs Titel) und andere Verlage (jeweils ein bis drei Titel). Darüber hinaus veröffentlicht die Zeitschrift "..." regelmäßig eine Liste der bundesweit umsatzstärksten Zeitschriftentitel (Anlage K 11). Zudem veröffentlicht das Nachschlagewerk "..." ein Ranking der umsatzstärksten Zeitschriften (Anlagen B 11, B 12).
Die Präsentation von Zeitschriften im Einzelhandel erfolgt nach Maßgabe des verfügbaren Platzangebots und der Kundennachfrage. Üblicherweise werden Zeitschriften nach Sachgruppen geordnet und "geschuppt" präsentiert, also so geschichtet, dass das auf der Titelseite links oben angebrachte Titellogo zu lesen ist (Anlage K 24: dortiger "Schuppungsgrad" ...