Leitsatz (amtlich)
1. Die erstmalige Übergabe eines Emissionsprospekts im Zeichnungstermin ist zur alleinigen Aufklärung des Anlegers über die wesentlichen Risiken der Beteiligung nicht geeignet.
2. Steht fest, dass die Summe des Abfindungsguthabens und des begehrten Schadensersatzes mindestens den Betrag erreicht, den der Gesellschafter einer mehrgliedrigen atypisch stillen Gesellschaft mit der Klage geltend macht, ist es nicht angezeigt, ihm zunächst lediglich einen Anspruch auf Errechnung des Abfindungsguthabens gegen den Geschäftsinhaber zuzusprechen, wenn der Geschäftsinhaber nicht darlegt, dass es ihm neben den Abfindungsguthaben seiner weiteren atypisch stillen Gesellschafter nicht möglich sei, den über das Abfindungsguthaben hinausgehenden Schadensersatzanspruch des Klägers ohne Gefährdung der Ansprüche der Mitgesellschafter zu erfüllen.
Normenkette
BGB § 280
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 26.10.2012; Aktenzeichen 318 O 331/11) |
BGH (Aktenzeichen II ZR 206/15) |
Gründe
I. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Ergänzend hierzu wird festgestellt:
Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus Prospekthaftung im weiteren Sinne.
Sie beteiligte sich durch Beitrittserklärung vom 04.12.2003 (Anlage K 1) als atypisch stille Gesellschafterin an der Beklagten mit einer Beteiligungssumme von 60.000,00 EUR zzgl. Agio in Höhe von 3.600,00 EUR im Beteiligungsmodell "Classic" mit einer Mindestlaufzeit von 15 Jahren. Grundlage für die Zeichnung war der Emissionsprospekt 2003 der Beklagten (Anlage K 2).
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte auf die Rückzahlung des von ihr bislang eingezahlten Beteiligungsbetrags zuzüglich des gezahlten Agios sowie auf Ersatz entgangenen Gewinns in Anspruch genommen sowie weiter gehende Feststellungsanträge verfolgt. Außerdem hat sie ihre Beitrittserklärung mit einem der Beklagten am 26.04.2012 zugegangenen Schriftsatz wegen einer vermeintlich fehlerhaften Widerrufsbelehrung auf dem Formular der Beitrittserklärung widerrufen.
Dabei hat sie sich insbesondere darauf berufen, dass der von der Beklagten verwandte Prospekt erhebliche Fehler aufweise und sie die Beteiligung bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht gezeichnet hätte. Insbesondere kläre der Prospekt nicht über das Totalverlustrisiko, die Auswirkungen der gewinnunabhängigen Ausschüttungen, das Blind-Pool-Risiko, die personellen Verflechtungen, die personelle Abhängigkeit des Anlegerausschusses, die Risiken des hohen Fremdfinanzierungsanteils, die Emissionskosten und die Verwendung der internen Zinsfußmethode für die Renditeberechnung auf. Unabhängig davon habe der Vermittler H. die Beteiligung als sicher bezeichnet.
Die Klägerin hat in erster Instanz dieselben Hauptanträge gestellt, die sie in zweiter Instanz verfolgt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
10. Das LG hat die Klage abgewiesen. Eventuelle Schadensersatzansprüche seien jedenfalls verjährt; der Widerruf führe nicht zu der begehrten Rückabwicklung.
11. Gegen dieses Urteil, das ihr am 29.10.2012 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit einem am 27.11.2012 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 18.12.2012 eingegangenen Schriftsatz begründet. Dabei wiederholt und vertieft sie ihre erstinstanzliche Argumentation.
12. In ihrer Anhörung vor dem Senat am 05.06.2014 hat die Klägerin u.a. behauptet, der Vermittler habe sie nicht über die weichen Kosten aufgeklärt.
13. Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung beantragt:
14. I. Das Urteil des LG Hamburg vom 26.10.2012, Az. 318 O 331/11, wird aufgehoben.
15. II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 46.450,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte der Klägerin aus ihrer Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter der G. L. AG, Vertragsnummer .../025, in Höhe von 60.000,00 Euro zu zahlen.
16. III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 25.891,56 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
17. IV. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer II. bezeichneten Zug-um-Zug-Leistung in Verzug befindet.
18. V. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von ihrer Haftung als atypisch stiller Gesellschafter nach § 236 HGB i.V.m. § 4 des Gesellschaftsvertrages im Falle einer Insolvenz der Beklagten freizustellen und dass der Beklagten keine Ansprüche gegen die Klägerin aus diesem Gesellschaftsverhältnis zustehen.
19. VI. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen finanziellen Schaden zu ersetzen, der über die unter Ziffer II. und III. bezifferten Schäden und den unter Ziffer V. bezeichneten Freistellungsanspruch hinausgehen und der in der Zeichnung der in Ziffer II. näher bezeichnet...