Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung für einen Gegendarstellungsanspruch ist nicht, dass die Meldung als sicher dargestellt wurde. Deshalb ist ein Anspruch auf Gegendarstellung auch bei Verdachtsäußerungen gegeben, soweit diese als Tatsachenbehauptungen einzuordnen sind.

Eine zulässige Verdachtsberichterstattung setzt grundsätzlich voraus, dass vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen und im Beitrag auch die zur Verteidigung des Betroffenen vorgetragenen Tatsachen und Argumente zu berücksichtigen sind. Werden diese Grundsätze nicht eingehalten, muss der Betroffene Gelegenheit erhalten, durch eine Gegendarstellung dem Leser seine Sicht der Dinge mitzuteilen.

Dem Gegendarstellungsanspruch bei Verdachtsäußerungen steht nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach gegen mehrdeutige Äußerungen ein Gegendarstellungsanspruch nicht gegeben ist. Auch wenn einer Verdachtsäußerung immanent ist, dass der Verdacht begründet oder unbegründet sein kann, handelt es sich nicht um eine mehrdeutige Äußerung, bei der das Publikum der Äußerung neben den offenen auch verdeckte Inhalte entnimmt.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 03.11.2017; Aktenzeichen 324 O 411/17)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 09.12.2020; Aktenzeichen 1 BvR 704/18)

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. November 2017, Geschäftsnummer 324 O 411/17, wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Gründe

gemäß §§ 540 Abs. 1 und 2, 313a ZPO:

Zu Recht und mit zutreffenden Gründen, denen der Senat folgt und auf deren Inhalt demgemäß zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen wird, hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 5. Oktober 2017 bestätigt.

Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im Berufungsverfahren folgendes auszuführen:

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei der in der Gegendarstellung wiedergegebenen Aussage "...A [der Antragsteller] und seine C Yachting Ltd. ... Es gibt zumindest ein paar naheliegende Gründe, nach D zu gehen, wenn die Firma das Wort 'Yachting' im Namen trägt. ... Vor allem Jachtbesitzer lockt der EU-Zwerg mit Sonderangeboten - bei der Mehrwertsteuer." nicht um eine Meinungsäußerung. Die Aussage ist vielmehr als Verdachtsäußerung einzuordnen. Die genannte Aussage erweckt den Verdacht, die C Yachting Ltd. sei vom Antragsteller auf D gegründet worden, um Mehrwertsteuer zu sparen.

Voraussetzung für einen Gegendarstellungsanspruch ist nicht, dass die Meldung als sicher dargestellt wurde (vgl. nur Seitz, Der Gegendarstellungsanspruch, 5. Aufl., 6. Kap., Rn. 18 m.w.N.), weshalb nach der Rechtsprechung des Senats auch bei Verdachtsäußerungen, soweit diese - wie vorliegend - als Tatsachenbehauptungen einzuordnen sind, eine Gegendarstellung gegeben ist (vgl. Urteile vom 14.11.2017, 7 U 62/17 und vom 25.9.2007, 7 U 44/07). Diese Rechtsprechung korrespondiert mit den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung, wonach grundsätzlich zu verlangen ist, dass vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen und im Beitrag auch die zur Verteidigung des Betroffenen vorgetragenen Tatsachen und Argumente zu berücksichtigen sind (vgl. BGH AfP 2000, 167, juris-Rn. 20; BVerfGE 35, 202, 232; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Oktober 2006 - 1 BvR 152/01 -, Rn. 34, juris). Werden diese Grundsätze nicht eingehalten, erscheint es konsequent, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, dieses Versäumnis durch eine Gegendarstellung zu korrigieren und dem Leser seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Dem Gegendarstellungsanspruch bei Verdachtsäußerungen steht auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2007 (AfP 2008, 58) entgegen, die sich mit dem Gegendarstellungsanspruch bei mehrdeutigen Äußerungen befasst. Auch wenn einer Verdachtsäußerung immanent ist, dass der Verdacht begründet oder unbegründet sein kann, handelt es sich nicht um eine mehrdeutige Äußerung, bei der das Publikum der Äußerung neben den offenen auch verdeckte, zu den offenen Aussagen abweichende Inhalte entnimmt (vgl. Beschluss des Senats vom 1.10.2012, 7 W 137/12).

Es handelt sich bei der vom Antragsteller beanstandeten Aussage auch nicht um eine für den Leser erkennbare subjektive Einschätzung der Antragsgegnerin. Vielmehr wird unter Mitteilung objektiver Fakten der tatsächliche Verdacht zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller die Gesellschaft auf D gegründet habe, um Mehrwertsteuer zu sparen. Damit wird eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers getroffen, die dem Beweise zugänglich ist.

Bei der Frage, ob eine Äußerung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung einzuordnen ist, ist auch im Gegendarstellungsrecht der gesamte Beitrag und nicht nur der in der Gegendarstellung wiedergegebene Teil der Erstmitteilung zu berücksichtigen. Bei der presserechtlichen Bewertung bestimmter Aussagen ...

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